Montag, 4. Januar 2010

Vermeer, Ruud, Aleister Crowley, Iris Verlag: Amsterdam 2005, PB, 160 S.,
ISBN 978-90-6361-041-8, 19,90 €.


Bei der Vielzahl der Veröffentlichungen der letzten Jahre scheint Crowley nun doch auch in akademischen Kreisen zum respektablen Forschungsgegenstand avanciert zu sein. So gibt es spezielle Abhandlungen zu seiner angeblichen Tätigkeit für Geheimdienste oder aber gut strukturierte Analysen seines Lehrgebäudes, wie es sich aus seinen Schriften extrahieren lässt. Neben die bereits geschriebenen Biographien Crowleys stellt der Niederländer Ruud Vermeer nun eine weitere, der hier mit einer Rezension Beachtung geschenkt werden soll. Mit der Intensivierung der Forschung am vielseitigen Phänomen Crowley ist die faktische Dichte, die nun für eine Biographie zu Verfügung steht, so hoch, dass der Anspruch auf Vollständigkeit zugunsten der Lesbarkeit vernachlässigt werden muss. Jede Lebensbeschreibung Crowleys muss also notwendigerweise unvollständig bleiben, was nicht heißt, dass sich die zur Verwendung ausgewählten Fakten einer Überprüfbarkeit entziehen dürften. Das Werk von Vermeer ist in dieser Hinsicht vorbildlich: Der Autor verwendete für seine Biographie Crowleys kritisch die verschiedenen in englischer Sprache bereits vorliegenden Werke von Verfassern wie Kenneth Grant, John Symonds, Roger Hutchinson, Richard Kaszynski oder Israel Regardie. Insgesamt weist die Bibliographie am Ende des Buches 16 Biographien Crowleys allein in englischer Sprache auf. Zudem enthält der Literaturnachweis eine der ausführlichsten Auflistungen der Werke des selbsternannten Weltenheilands, die zurzeit gedruckt erhältlich ist. Aber zum eigentlichen Werk.
Dieses Buch nun stellt Crowley in erster Linie als Menschen dar und beleuchtet in 13 Kapiteln seinen Weg. Im Mittelpunkt stehen dabei die persönlichen Beziehungen und das Streben, sich selbst als Propheten des Neuen Äons zu installieren und das Gesetz von Thelema zu verkünden. Seine ausgedehnte Reisetätigkeit der frühen Jahre wird betrachtet, seine Zeit in Amerika und in Cefalu beleuchtet und immer wieder handelt das Buch auch von den Schwierigkeiten Crowleys, seinem Geldmangel, seiner Heroinsucht und den Menschen in seiner engsten Umgebung, zu denen er ein meist enges Verhältnis hatte, dass nicht selten tragisch endete.
Während frühere Autoren zwischen Faszination und moralischer Verdammung schwanken, wie der Nachlassverwalter der Schriften Cowleys und einer seiner frühen Biographen John Symonds, oder aber schlicht falsch darstellten, wie Israel Regardie, enthält sich Vermeer jeder Wertung. Ursprünglich aus Gründen persönlicher Begeisterung zum Thema gekommen, arbeitete sich Vermeer in Leben und Lebensumstände Crowleys ein und der daraus resultierenden graduellen Abkühlung der Leidenschaft ist diese wohlwollend neutrale Biographie zu verdanken.
Die fesselnd zu lesenden und gut bebilderten Texte der einzelnen Kapitel beschreiben die wichtigsten Stationen des Lebens des Großen Tieres 666, ohne sich an speziellen Detailfragen zu verfangen. So ist von Crowleys Kindheit zu lesen, seiner Zeit im Golden Dawn, vom Empfang des Liber Al oder aber der Rolle Crowleys im O.T.O.. Immer wieder zitiert Vermeer dabei aus den Originalschriften Crowleys in englischer Sprache, wobei er jeweils eine Übersetzung am Ende des betreffenden Kapitels bietet. Besonders für die poetischen Beiträge ist das vorteilhaft, da eine Nachdichtung immer auch Verlust von mindestens Atmosphäre bedeutet. Das ist für das Schaffen Crowleys besonders wichtig, da sein schriftstellerischer Schwerpunkt, zieht man das Gesamtwerk des Vielschreibers heran, eindeutig auf der Dichtung gelegen hat, von der Vermeer durch ausgesuchte Zitate einen guten Eindruck vermittelt.
Besonders die letzten Kapitel, die sich mit dem Nachwirken von Crowley und seinen Gedanken beschäftigen, bieten interessante Einblicke in die Zusammenhänge zwischen diesem und (sub-)kulturellen Äußerungen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein Höhepunkt ist dabei sicherlich die Betrachtung des filmischen Schaffens von Kenneth Anger, der als Bewunderer Crowleys seine Filme als magische Ritualwerke betrachtet.
Angehängt sind zudem noch essayhafte Texte zur Rolle Crowleys als Dichter, seine Rolle als Quelle der Inspiration für beispielsweise Romanfiguren wie den Oliver Haddo in Maughams „Der Magier“ sowie eine (sehr) kurze Einführung in Kabbala und Tarot.
Insgesamt ist das Werk von Vermeer eine empfehlenswerte Lebensbeschreibung des umstrittenen Engländers, die sich auch gut als Einführung in Crowleys Werk eignet. Mehr versucht der Autor nicht und ist auch kaum möglich, denn um Crowley zu begreifen, sollte man Crowley selbst lesen.
Eine sehr menschliche Biographie, in auch inhaltlich gut gewähltem Umfang, in der nicht versucht wird, Crowley auf Schablonen zu reduzieren.