Sonntag, 17. Januar 2010

Kharitidi, Olga, Samarkand. Eine Reise in die Tiefen der Seele, List Verlag: Berlin 2005, TB,
304 S., ISBN 3-548-60531-1, 8,95 €.


Die in Sibirien geborene Olga Kharitidi studierte erst Medizin in Nowosibirsk und arbeitete dann dort als Psychiaterin in einer Klinik. Nach ihren Erfahrungen mit den Schamanen Zentralasiens, die zum Teil Gegenstand des hier besprochenen Buches sind, entwickelte sie eine eigene Form der Psychotherapie. Sie nannte ihr System „Traum-Umwandlung“ und gibt zu dieser Methode Seminare und Workshops, hauptsächlich in den USA, wo sie mittlerweile lebt. In diesem Buch schildert die Autorin ausführlich, wie sie zu dieser Behandlungsweise zur Heilung von Traumata gekommen ist, die sie heutigentags lehrt und praktiziert.
Bei ihrer beruflichen Tätigkeit bekam sie die Gelegenheit, so beginnt die Geschichte, an einer halbstaatlich- und halbprivat geförderten Untersuchungseinrichtung, die sich zur Aufgabe gestellt hat, das Seelenleben des Menschen zu kartographieren, einen Vortrag zu hören. Damit beginnt für sie die Reise, die ihr Leben verändern sollte und an welcher der Leser teilnehmen kann.
Sie trifft in der Folge den usbekischen Heiler Wladimir und nimmt eine Einladung nach Samarkand an. Hier trifft sie auf Vertreter der Liuli, der Zigeuner Zentralasiens. Diese Menschen hüten ein uraltes Heilgeheimnis, welches methodisch auf dem Umgang mit luziden Träumen und dem Zugang zu einer universellen mütterlichen und lichten Kraft, die Anachita genannt wird, basiert. Im Original, 2001 in Amerika erschienen, heißt das Buch denn auch „The Master of Lucid Dreams“. Ziel der Heilung ist es, den Menschen von den Einschränkungen zu befreien, die aus erlebten Traumata resultieren.
Einen Meister des luziden Träumens lernt sie in Michael kennen, der ihr, kaum in Samarkand angekommen, diese Methode in einer dichten Folge von Unterweisungen lehrt. Dabei werden unter anderem auch spannende Deutungen von Teilen der zentralasiatischen Geschichte von dem Lehrer zur Verdeutlichung des Umgangs mit den Energien benutzt. An der Aufarbeitung ihrer eigenen Traumata lässt die Autorin den Leser teilhaben; er begleitet sie durch Höhen und Tiefen der Seelenfahrt. Nachdem Olga Kharitidi ihre eigenen seelischen Bruchstücke zusammen fügen und heilen gelernt hat, steht sie vor der Aufgabe, für andere Menschen auf diese Art und Weise zu wirken.
Der geschilderte Heilansatz ist prinzipiell nicht neu, in dieser speziellen Ausformung allerdings originär und sehr unterhaltsam und lehrreich aufbereitet. Ausgehend von Erinnerungslücken, die durch Traumata entstanden sind, setzen sich nach diesem Paradigma Dämonen in diese Lücken und beziehen ihre Energie, ihre Lebensgrundlage, aus dem Schmerz, den sie immer wieder reproduzieren. Ziel der Traum- oder Trancearbeit der usbekischen Heiler ist es, diese Lücken ins Bewusstsein zu holen, sich zu erinnern und dadurch den Dämonen die Macht zu nehmen. Als Mittel dienen in erster Linie luzide Träume.
Das Buch ist eine sehr gelungene Mischung aus Roman und Sachbuch. Allein die Lektüre dieses Buches hat das Potenzial, tief im Innern zu berühren und Veränderungen herbeizuführen. Der vorgebildete Leser kann anhand der Schilderung leicht Techniken entlehnen oder auch eigene entwickeln, mit denen er sich bei Bedarf selbst heilen kann. Ein interessanter Angang für das seelische „Ganzwerden“ aus schamanischer Sicht.