Montag, 4. Januar 2010

Hornung, Erik, Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluß auf das Abendland, dtv Verlag: München 2003, 232 S., TB, ISBN 3-423-30869-9, 12,00 €.


Das eine Bild der altägyptischen Kultur gibt es nicht, sondern immer nur ein jeweiliges, welches man sich von Ägypten macht. In diesem Sinne und mit dem Zugeständnis, dass in der Beschäftigung mit den Ägyptern die Ägyptologie selbst eine sehr junge Disziplin ist, die ebenso nur vorläufige Bilder zu verhandeln vermag, schafft sich der Autor die Freiheit, den wissenschaftlichen Blick auszuweiten.
Der ehemalige Ordinarius für Ägyptologie an der Universität Basel stellt mit diesem Text aus dem Jahr 1999 eine Arbeit vor, die in jedem, der an ägyptischer Weisheit interessiert ist, Aha-Effekte hervorrufen wird.
Länger als Erik Hornungs eigenes Fach, bestand und besteht eine eigene Tradition, Ägypten und besonders ägyptische Weisheit zu betrachten. Für diese Sichtweise führte er den Begriff Ägyptosophie ein und zeichnet kenntnisreich und unterhaltsam ihre Entwicklung nach.
Die geistige Anziehungskraft Ägyptens ist durch die Jahrhunderte immens geblieben und schuf so ein ganz eigenes Bild, welches nur lose mit dem der Wissenschaft verbunden scheint. Angefangen bei den Autoren der griechischen Antike, denen das Land am Nil schon die Wiege aller geheimen Weisheit war, führt die Betrachtung über die Wiederentdecker Ägyptens während der Renaissance, über Rosenkreuzertum, Freimaurerei, Theosophie, Anthroposophie, Crowley und den Golden Dawn bis hin zu Erich von Däniken.
Die Verwandlung von Thot in den dreimalgroßen Hermes in der Spätzeit ist dabei nur eines der Motive, derer sich Hornung annimmt. In diesem Zusammenhang wird gleich noch die Redaktions- und Rezeptionsgeschichte des Corpus Hermeticum verhandelt, welches uns letztlich nur in einer christlicher Umformung bekannt ist. Unter anderem auch durch seine Wiederentdeckung mit einer Übersetzung von Marsilio Ficino erscheint Ägypten in der Folge immer wieder in Wissenschaft und Dichtung als ideales Gegenbild der jeweils präsenten Kultur.
Die elaborierte Vielfalt ägyptophiler Äußerung ist dabei enorm. Ob der Autor von der Konstruktion des Buches Thot als ägyptischem Ursprung des Tarot erzählt, welches der Freimaurer Antoine Court de Gebelin 1781 einführte und welches dann in der esoterischen Tradition „kanonisch“ wurde oder von Lemuria, das 1874 von P.L. Slater „erfunden“ wurde - die Lektüre ist äußerst unterhaltsam und lehrreich.
Die Verfolgung der Pyramidenmystik durch die Jahrhunderte europäischer Geistesgeschichte ist ebenso spannend. So mussten die Pyramiden in der Geschichte immer wieder für verschiedene Spekulationen herhalten. Sie erscheinen wahlweise als Einweihungsstätte für Pharaonen und Priester, als kosmische Energieharmonisierer, Abbilder von Gestirnskonstellationen, als Kornspeicher oder aber als Archive geheimer Manuskripte.
Für die Hieroglyphen, die ja bekanntlich erst 1822 durch Champollion entziffert wurden, wird ähnliches durchexerziert. Von freier Kreation von Hieroglyphentexten auf phantastischen Obelisken bis zu den Deutungsversuchen des Athanasius Kircher beleuchtet Hornung die Vorstellungen, die ägyptozentrisches Denken und Deuten beherrschten.
Die mit dieser Betrachtung vollzogene Auflösung der (vielleicht scheinbaren) Grenze von Wissenschaft und Geheimtradition stellt heraus, dass Ägyptosophie und Ägyptologie durchaus voneinander profitieren können. Ohne Wehmut trennte sich Hornung vom Anspruch auf eine Wahrheit und schrieb so eine fließendes und beeindruckend geistreiches Buch. All dies ist dazu angetan, dem Leser ein erhellendes Lesevergnügen zu bereiten. Ein Personen- und Sachregister erleichtert den Zugriff auf die Fülle des Stoffes und rundet das Buch ab.