Samstag, 2. Januar 2010

Goodman, Felicitas D., How about demons?, Indiana University Press: Bloomington, Indiana 1988, PB, 164 S., ISBN 978-0-253-20467-7,
19,99 €.


Das hier vorgestellte Buch der Anthropologin Felicitas Goodman ist eine der besten wissenschaftlichen Abhandlungen zum Thema Besessenheit, auch noch mehr als 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung. Aus diesem Grund soll hier auf das Werk How about Demons? Possession and Exorcism in the Modern World hingewiesen sein, dass seit 1988 unverändert immer wieder neu aufgelegt wird.
Die Autorin, die 2005 im Alter von 91 Jahren verstarb, forschte an der Denison University (Ohio) zunächst 17 Jahre lang in einer Pfingstler-Gemeinde in Mexiko. Über ihre Studien zur Glossolalie kam sie ganz allgemein zu den auslösenden Faktoren veränderter Bewusstseinszustände im Zusammenhang religiöser Rituale. Diese weltweit anzutreffenden Trancephänomene standen im Zentrum ihrer Untersuchungen und Publikationen. Ende der 70er Jahre widmete sie sich dann Trancezuständen, die durch Körperhaltungen im Zusammenspiel mit monotonem Rasseln hervorgerufen werden. Zur praktischen Erforschung dieser u.a. von Höhlenmalereien inspirierten Technik gründete Goodman 1979 das Cuyamungue-Institut in New Mexico, USA, in der Nähe von Santa Fe. Das System der Rituellen Körperhaltungen und Ekstatischen Trance ist das Ergebnis dieser Arbeit und wird auch heute noch weltweit nach Goodman gelehrt.
Doch zurück zum Buch.
Auch die Besessenheit, die in diesem Werk Mittelpunkt der Betrachtung ist, wird unter den religiösen Tranceerfahrungen subsummiert. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches hatte Goodman schon zu diesem Thema geschrieben, u.a. ein Werk zu Anneliese Michel. Dieser Fall von Besessenheit endete 1976 mit dem Tod des Mädchens und löste international starke Reaktionen aus. Bis heute stehen die Verfechter der psychiatrisch/ psychologischen Deutung den kulturanthropologischen Erklärungen unversöhnlich gegenüber. Letztere Position wurde von Goodman entscheidend mitgeprägt. Auch in diesem Jahre nach den Geschehnissen von Klingenberg veröffentlichten Buch geben die Ereignisse um Anneliese Michel eines von mehreren Fallbeispielen ab, die das Phänomen Besessenheit treffend illustrieren können.
Goodman stellt so unterschiedliche Traditionen wie neuere japanische Kulte, pfingstlerische Gemeinden, Vodun und Umbanda vor, die alle eines gemeinsam haben: die mit einer religiösen Praxis verbundene Möglichkeit, von einem wie auch immer charakterisierten Geistwesen besessen zu werden. Eine damit verbunden Landkarte der Psychonavigation muss allerdings erst geschaffen/etabliert werden. Das ist Aufgabe der Kultur, in der Besessenheit stattfindet. Ob die Besessenheit nun positiv oder negativ erfahren wird, hängt von den Geistwesen ab, die in die Person eindringen. Dieses Eindringen kann gewollt oder gegen den Willen des Entsprechenden erfolgen. So wird Besessenheit bspw. zur Divination oder zur Heilung genutzt. Dabei sind die Geister den Menschen wohlmeinend, eingeladen und lassen sich problemlos wieder verabschieden. Dieses Verhältnis von Mensch zu Geist ist charakteristisch für die Traditionen, die aus afrikanischen Pflanzergemeinschaften stammen oder von diesen abgeleitet sind. Anders sieht es aus, wenn diese Geister in anderem Zusammenhang als Schadensverursacher missbraucht werden. Auch das ist bei der Besessenheit afrikanischen Typs bekannt, allerdings der Ausnahmefall.
Von einer afrikanischen Form der Besessenheit unterscheidet Goodman die eurasische, in der der Geist uneingeladen eindringt und für unterschiedlich schwer ausfallende Schwierigkeiten des Betreffenden verantwortlich ist. Diese Besessenheit äußert sich in Krankheitssymptomen und kann nicht durch einfache Formeln im Sinne eines Wunsches beendet werden. Nur bei diesen Fällen, bei denen es einen Bruch in der Persönlichkeit geben muss, handelt es sich um sogenannte dämonische Besessenheit. Hier sind Spezialisten gefragt, die entweder Geist und Besessenen heilen, wie in japanischen Kulten, oder aber den Besessenen durch Exorzismus in die Normalität zurück holen, wie bspw. im Katholizismus.
Neben der Herausarbeitung dieses grundlegenden kulturellen Unterschiedes und dessen Untermauerung durch eine Fülle von Fallbeispielen untersucht Goodman die Parallelen von Besessenheit und dem Krankheitsbild der Multiplen Persönlichkeit. Der Modediagnose der 80er Jahre geschuldet sind diese Kapitel heute sicherlich nicht mehr so brisant wie zur Veröffentlichung dieses Buches und auf der Basis neuerer Erkenntnisse zu Multiplen Persönlichkeit zu vernachlässigen.
Insgesamt ist das Werk jedoch immer noch sehr lesenswert, sei es wegen der Fülle an interessanten Beispielen zu Besessenheit und Exorzismus oder wegen des Klassifizierungsversuches der Phänomene, oder aber weil Goodmans Werben für einen kulturanthropologischen Standpunkt, der Menschen und die Kulturen in denen sie leben in ihren Begriffen verstehen will, im Zeitalter kultureller Nivellierung mehr denn je aktuell ist.