Sonntag, 3. Januar 2010

de Alverga, Alex Polari, Der Prophet aus dem Regenwald, Koha Verlag: Burgrain 2007, 287 S., Festband, ISBN 978-3-86728-014-3; 17,95 €.


Es kann durchaus als Glücksfall bezeichnet werden, wenn eine relativ neue religiöse Gemeinschaft sich mit Innenansichten einem breiteren Publikum öffnet. Das Buch von Alex Polari de Alverga ist so ein Fall. Der Dichter und Schriftsteller ist im Nordosten Brasiliens geboren und war als Oppositioneller neun Jahre in Haft, bevor er 1982 Santo Daime kennen lernte. Als Mitglied einer Regierungskommission sollte er neben anderen Ausgewählten beurteilen, ob von der ominösen neuen Religionsbewegung in Rio do Oro eine Gefahr für Ordnung und Sicherheit des Landes ausgeht, zumal ruchbar wurde, dass diese Gemeinschaft während ihrer Rituale eine psychoaktive Substanz, Ayahuasca, als Sakrament nutzt. Der Autor lernte Padrinho Sebastiao kennen, nahm an den Gottesdiensten der Kirche teil und die Ergebnisse der Kommission fielen zugunsten der Gruppe aus. Stark beeindruckt beschloss Alex Polari de Alverga, bei der Gruppe zu bleiben und wurde Schüler von Padrinho Sebastiao. Mittlerweile ist er spiritueller Leiter des CEFLURIS, hält Vorträge auf internationalen Kongressen und leitet Seminare. Zudem publiziert er weiter, um die Kirche bekannt zu machen. Das ist ein weiter Weg und ebendiesen zeichnet der Autor in dem nun vom Koha Verlag veröffentlichten Buch nach.
Unter Santo Daime versteht man demnach das Ayahuasca und eine spirituelle Praxis, die im brasilianischen Bundesstaat Acre, in Rio do Ouro, in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Dabei handelt es sich, technisch gesehen, um eine christliche Kirche, in die Einflüsse eines Volkskatholizismus auf die aus dem Spiritismus nach Kardec stoßen, wobei auch afrikanische und schamanische Elemente hinzukommen. Zentral und namensgebend ist also das Sakrament, dass während der Arbeit genannten Gottesdienstes eingenommen wird: Ayahuasca oder Santo Daime, das in einer Fetitio genannten Zeremonie hergestellt wird.
Als Gründer dieser religiösen Bewegung wird Raimundo Irineu Serra (Mestre Irineu) angesehen. 1971 verstarb Mestre Irineu und die Gemeinschaft erfuhr Spaltungen. Die bedeutendste Gruppe war dann die von Sebastiao Mota de Melo (Padrinho Sebastiao), der das Zentrum mit seinen Anhängern verließ und in den frühen 80ern nach Ceu do Mapo ging, wo ein neues Zentrum entstand. Seine Gruppe, die CEFLURIS, richtete eine Vielzahl von Zentren im Süden Brasilien ein, hat mittlerweile aber auch Gruppen in Nordamerika, Europa (Belgien, Spanien und in den Niederlanden) sowie in Japan. CEFLURIS ist die Abkürzung für Centro Ecletico da Fluente Luz Universal Raimundo Irineu Serra oder zu deutsch: Eklektisches Zentrum des fließen universellen Lichts Raimundo Irineu Serra. Seit dem Hinübergehen von Padrinho Sebastiao 1990 leitet sein Sohn Padrinho Alfredo die Mission.
Ziel der sprituellen Arbeit ist die Suche nach dem hohen Selbst, wobei eine intensive Exploration vergangener Inkarnationen nötig ist. Über diese Reihe der eigenen Verkörperungen dann gelangt der Daime-Anhänger zur Quelle seines Selbst, das es zu verwirklichen gilt. Damit ist er am Ende seiner Suche in Christus. „Christus ist der Ausdruck des hohen Selbstes im Bewusstsein aller Menschen.“ (S. 236)
Das Santo Daime selbst entspricht, ähnlich wie das die südamerikanischen ayahuasceros sehen, einer spirituelle Wesenheit, deren Namen Mestre Irineu für die Kirche empfangen hat: Juramidam. Es ist nach den Hymnen der Padrinhos und Madrinhos, der männlichen und weiblichen Lehrer der Daime-Religion, die Manifestation Christi im amazonischen Regenwald. Diese Hymnen spielen im Kult eine herausragende Rolle, da sie Offenbarungen von Juramidam sind und so die Wahrheiten dieser Form des Christentums beinhalten. Aus diesem Grunde werden sie als das dritte Testament betrachtet, das des Heiligen Geistes, während das Alte Testament als das des Vaters und das Neue Testament als das des Sohnes angesehen wird. Um sich von diesem Aspekt der Santo-Daime-Kirche einen Eindruck zu verschaffen, kam man beim Koha-Verlag auf die großartige Idee, dem Band eine CD beizulegen, auf der 19 der Hymnen aufgenommen sind, gesungen von einer Gemeinde der Bewegung.
Die spiritistische Seite der Praxis kommt besonders dann zum Ausdruck, wenn wie an der eigenen Befreiung auch an der Erlösung nicht inkarnierter Wesenheiten gearbeitet wird, die durch Leid an die Welt gebunden sind und sich den medialen Mitgliedern des Kultes regelmäßig während der Arbeiten zeigen und diese um Hilfe bitten. Nicht nur mit dieser Arbeit wird unter Beweis gestellt, dass die Nutzung der mystischen Kraft des Santo Daime weit über die Befriedigung egoistischer Triebe hinaus geht. In großer Anzahl finden sich Beispiele für diese Seite der Arbeit, die besonders Padrinho Sebastiao, ob seiner großen medialen Befähigung, am Herzen gelegen hat.
Das überaus spannende Buch von Alex Polari de Alverga erzählt also von inspirierten Menschen einer neueren, in Brasilien beheimateten christlichen Form des Kultes und einer ebenso starken wie friedliebenden Vision. Als wenn das nicht allein schon besonders genug wäre, kommen die Schilderungen zudem aus erster Hand. Damit ist das Buch nicht nur für Religionswissenschaftler, denen es als Quelle dienen wird, von Gewinn, sondern für jede/n mit Interesse an religiöser Kultausformung.