Freitag, 10. September 2010

Storl, Wolf-Dieter, Pflanzendevas, AT Verlag: Aarau 2007, Festband, SU, 262 S.,
ISBN 978-3-85502-763-7, 22,90 €.


Mittlerweile scheint es fünf vor zwölf für Mütterchen Gaia zu sein und quer durch alle weltanschaulichen Lager ist die Forderung nach einem bedachteren Umgang mit der Natur zu vernehmen. Meist handelt es sich um eine Version der Technokratie „light“, die da notbremsenartig propagiert wird. Alternativ zu dieser massenhaften, meist eher oberflächlichen Einsicht ohne die angemessene Nachfolge von vernünftigem Handeln, gab und gibt es in langer Tradition Menschen überall auf der Erde, die der Umwelt entweder nie entfremdet waren oder sich bewusst ihren Zugang zu Flora und Fauna wieder erarbeitet haben.
Besonders in den Kulturen, in denen professionelle Vermittler zwischen Mensch und der geistigen Dimension der Natur ihrer Aufgabe nachgehen, wird um die Bedürfnisse von Pflanze und Tier noch gewusst. Der Fähigkeit, sich die Pflanze zum Partner zu machen, von ihr zu lernen, mit ihrer Hilfe zu wachsen und zu heilen; dieser Fähigkeit ist das hervorragende Buch von Wolf-Dieter Storl gewidmet, das nun schon in der vierten Auflage erschienen ist.
Der Kulturanthropologe und Ethnobotaniker lebt als freischaffender Autor und Seminarleiter im Allgäu, nachdem er an verschiedenen Universitäten in den USA, in Indien und in Europa gelehrt hat. Dabei widmete er bisher eine stattliche Anzahl seiner Bücher den Pflanzen.
Diese Beschäftigung über Jahre bleibt das gesamte Werk über augenfällig, wenn Storl virtuos mit Geschichten und Geschichtchen aus den verschiedenen Teilen dieser Erde und verschiedenen Zeiten kurzweilig und informativ jongliert.
Als etwas ältere Beispiele stehen da für einen alternativen Umgang mit den Pflanzenwesen die Wundergärten des schottischen Findhorn und des schweizerischen Aigunes Verdes. Ob es die Bemalung der Gartenhäuser mit Göttern, Elfen, Zwergen oder ähnlichen Wesen gewesen ist, der direkte mediale Kontakt zu Pflanzendevas oder aber die seltsamen Präparate unter Verwendung von Bergkristallen oder in Tierorgane gehüllte Kräuter, die in die Erde gegeben wurden: Beide Orte sind für eine landwirtschaftliche Nutzbarmachung eigentlich völlig ungeeignet und an beiden Standorten konnten Pflanzen in Anzahl, Größe und Vitalität gezogen werden, dass der Fachwelt die Münder offen blieben. Diese Beispiele sind gelebte Hinweise auf ein Potenzial im Umgang mit Pflanzen, das aus einer Zusammenarbeit mit den Pflanzenwesen resultiert. Ein wichtiger Bestandteil jüngerer menschlicher Kulturgeschichte, das „Macht euch die Erde untertan“, weicht hier einer fruchtbringenden Partnerschaft von Mensch und Pflanze, die Schule machen könnte.
Dabei figurieren diese Beispiele „lediglich“ als Ausgangspunkte für die Monographie; der Reigen wird damit also erst eröffnet. Der Leser kann sich auf eine witzige Domestizierungsgeschichte der menschlichen Rasse aus Sicht der Pflanzendevas gefasst machen und es erwarten ihn kenntnisreiche und skizzenhafte Einführungen in die Schau von Sehern wie Maria Treben, Edward Bach oder aber Rudolf Steiner, die in direktem Kontakt mit dem grünen Volk standen.
Mit besonderem Interesse geht der Autor den vor- und außerchristlichen Traditionen in ihrem Pflanzenwissen nach. Germanische, keltische, indianische und indische Wege der Kommunikation und Arbeit mit den Pflanzenwesen wären da zu nennen, um nur einige Überlieferungen heraus zu greifen, die Wolf-Dieter Storl studiert hat und die Bestandteil der umfassenden Sicht in diesem Buch sind. Vieles von seinem Wissen, das wird nicht zuletzt durch den anekdotenhaften Stil deutlich, konnte Storl im persönlichen Austausch erwerben. So kam es beispielsweise während seiner Zeit in den USA zu Begegnungen mit dem indianischen Medizinmann Bill Tallbull, dem Storl die Bedeutung der eingeführten europäischen Pflanzen näher brachte, während er über die lokale Fauna und den traditionellen Umgang mit dieser belehrt wurde.
Neben dem inspirierten und inspirierendem Inhalt der Geschichten ist es vor allem auch die Art des Erzählens, die es einen bedauern lässt, wenn die letzten Seiten des Buches langsam erreicht sind, auch wenn sich abschließend mit den meditativen Anleitungen zur eigenen Annäherung an die Pflanzendevas noch ein Höhepunkt findet.
Das Buch ist eine Klasse für sich, und da Prophetie nicht die Aufgabe von Rezensenten sein muss, seien diesem Werk die weiteren Auflagen wegen größter Nachfrage einfach gewünscht.

Storl, Wolf-Dieter, Heilkräuter und Zauberpflanzen..., AT Verlag: Aarau-Baden 2007, Festband, SU, 179 S., ISBN 978-3-85502-693-7, 17,90 €.


„In unserem Streben nach einer ganzheitlichen Kräuterkunde gilt es, die Pflanzen nicht nur als Behälter von Molekularverbindungen, sondern als Lebewesen zu betrachten, die auch von Seelischem und Geistigem umwoben sind.“ (S. 71)
Dieses Zitat, dem hier besprochenen Buch Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor entnommen, steht programmatisch für das langjährige Schaffen des Autors. Wolf-Dieter Storl, Ethnobotaniker und Kulturanthropologe, vermittelt sein Wissen über die Pflanzen nicht nur in Büchern, sondern auch in Seminaren und Vorträgen.
Neben den eigenen Erfahrungen im praktischen Umgang mit dem grünen Volk bewegt sich Storl in bester Tradition, die in seinen Büchern immer wieder rezipiert wird. Viele der alten, oftmals vergessenen Schriften bringt er in Erinnerung und komponiert alte und neue Sichtweisen zum Pflanzenverständnis in unterhaltsam zu lesenden Form.
Schon in der Antike war das Wissen um die Heilkraft der Kräuter vor der Haustür weit verbreitet und genutzt, wie die Werke vom älteren Plinius oder aber vom Griechen Pedanios Dioskurides, der Leibarzt der Caesaren Claudius und Nero gewesen ist, noch heute belegen. Im Mittelalter stach dann besonders das Werk Hildegards von Bingen heraus, wenngleich es im Vergleich mit den antiken Autoren reduziert erscheint. Zu den besonderen Quellen des Buches von Storl zählt das „Complete Herbal“ (1653) des englischen Botaniker, Arztes und Astrologen Nicholas Culpeper, weil es sicherlich zu den weniger bekannten, wenngleich hochgradig interessanten Werken gehört. Weitere Autoren komplettieren den historisch fundierten Rundschlag durch die Kräuterheilkunde: Die Kräuterpfarrer Sebastian Kneipp und Johann Künzle sind ebenso vertreten wie Paracelsus, Maria Treben oder aber Verweise auf die biologisch-dynamische Landwirtschaft von Rudolf Steiner. Auch die Lehrer Storls, der Bergbauer Arthur Hermes und der Pflanzenschamane und Sonnentanzpriester Bill Tallbull, werden entsprechend gewürdigt.
Dass dieses Buch trotz einer Unzahl berücksichtigter historischer Schriften nicht zu einem schwer lesbaren akademischen Elaborat wird, ist sicher allen einsichtig, die schon Schriften von Wolf-Dieter Storl kennen. In gewohnt brillanter Form unterhält der Autor seine Leser, ohne dass die Tiefe und der Ernst seines Anliegens dabei auf der Strecke bleibt.
Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit stehen dieses Mal neun einfache, gewöhnliche Kräuter, die oftmals als „Unkraut“ schlicht übersehen werden. Die Helden des Buches sind die Brennnessel, der Beifuss, Gundermann, Geissfuß, Wegerich, Schachtelhalm, Gänseblümchen, Vogelmiere und Löwenzahn. Deren Eigenschaften werden ausführlich beschrieben, ihre Heilkraft, ihre Bedeutung in der Volksmedizin, ihre Rolle in Sage, Märchen und Aberglaube, ihre planetarischen Bezüge und vieles mehr. Alte Namen, wie „Machtwurz“ für den Beifuss erinnern noch an eine Zeit, als das Wissen um die Potenz der vorgestellten Pflanzen noch lebendig war.
Die „grünen Neun“ sind von Storl willkürlich ausgewählt, da die Zusammenstellung der Kräuter in den regionalen Traditionen variiert. Aber meist sind es, wie hier, neunerlei Kräuter, die als Zauber- und Heilpflanzen in unseren Breiten benutzt wurden und vereinzelt auch werden. So war und ist der Kräuterkundige der Meinung, dass eine Handvoll verschiedener Kräuter ausreichend sei, genaue Kenntnis der Pflanzenpersönlichkeiten vorausgesetzt, um sämtliche Leiden heilen zu können. Storl berücksichtigt dabei die molekularbiologischen und chemischen Erkenntnisse zu den Pflanzen, ohne sie allerdings in ihrer Heilwirkung auf diese zu reduzieren.
Und auch zur allgemeinen Konstitutionskräftigung, für den Nichtleidenden, bieten sich die Kräuter an: eine Frühlingssuppe („Neunkräutersuppe“) aus den genannten Pflanzen soll Wunder am Immunsystem wirken und die Frühjahrsmüdigkeit vertreiben. Zum Zwecke praktischer Anwendbarkeit ist der Text immer wieder ergänzt durch eingestreute Rezepte, welche zur Herstellung von Tees, Suppen, Salaten, und Einreibungen belehren. Zudem finden sich Anleitungen für Gicht- und Entschlackungskuren oder natürliche Färbe-, Dünge- oder insektenabwehrende Mittel.
Das Buch ist nunmehr in der sechsten Auflage erhältlich, die sicherlich nicht die letzte gewesen sein wird. Die Bücher von Wolf-Dieter Storl zählen zum Besten, was derzeit über Pflanzen geschrieben wird und ganz speziell mit diesem Werk kann jede/r gleich beim Verlassen der Haustür neun neue Freundschaften schließen. Ein Buch, das jeden der alltäglichen Wege ungemein bereichert und einen leicht zum Kräutersammler und Suppenkoch werden lassen kann.

Hageneder, Fred, Die Eibe in neuem Licht, Verlag Neue Erde: Saarbrücken 2007, Festband, SU,
320 S., ISBN 978-3-89060-077-2, 39,90 €.


Vieles spricht dafür, dass dieser Band Eingang in die Sammlung rezensierter Bücher auf dieser Seite erhält. Einerseits existieren bereits einige Besprechungen zu ethnobotanischen Publikationen. Das soll natürlich weitergeführt werden. Andererseits, und das ist die Besonderheit, handelt dieses Buch von nur einer Gattung, der Eibe. Nimmt man nun herkömmliche Beziehungs- und Zuordnungstabellen zur Hand, ist die Eibe durchweg und zweifelsfrei dem Gestirn Saturn zugeordnet und damit an dieser Stelle mehr als passend.
Für diese assoziative Verbindung steht sicherlich das langsame Wachstum der Eibe, ihr extrem hartes und dauerhaftes Holz, ihre Giftigkeit, die sie mit dem Tod verbindet, sowie der Umstand, dass sie äußerst schattenverträglich ist. So kommt sie mit nur 5 % der Lichtmenge des Freistandes aus. Auch die lange Lebensdauer und das hohe Alter der Eibe entsprechen saturnischen Qualitäten: Der in Asien, Europa, Nord- und Mittelamerika beheimatete Baum trat erstmalig vor circa 140 Millionen Jahren auf und zählt somit zu den ältesten Baumarten der Welt, wenn es sich nicht sogar um die älteste handelt.
Dieses faszinierende Wesen nun steht im Mittelpunkt des herausragenden Buches von Fred Hageneder. Dieser ist Ethnobotaniker und beschäftigt sich seit Jahren mit Bäumen, insbesondere mit der Eibe. So ist er Gründungsmitglied und Vorsitzender des Vereins Freunde der Bäume und Mitglied der Ancient Yew Group. Seiner Feder entstammen Titel wie Die Weisheit der Bäume oder Geist der Bäume.
Das hier besprochene neueste Werk des Autors ist das großformatige und voluminöse Buch Die Eibe in neuem Licht. Eine Monographie der Gattung Taxus. Gegliedert ist es in zwei Teile, von denen sich der erste mit der Natur der Gattung beschäftigt, der zweite, etwas umfangreichere dann mit der Kulturgeschichte. Dabei sind die einzelnen Kapitel in sich geschlossenen Abschnitte, so dass es ohne weiteres möglich ist, sich quer durch das Buch zu lesen.
Im biologischen Teil erfährt der Leser Grundlegendes zur Klassifizierung der Pflanze, ihrer Evolution und ihrer heutigen weiten Verbreitung, für die ihre hohe Anpassungs- und Regenerationsfähigkeit verantwortlich ist. Große Aufmerksamkeit kommt, um ein Beispiel herauszugreifen, der Eibe als Heilmittel zu; ihre Inhaltsstoffe werden ausgebreitet und auf ihre Wirksamkeit in human- und veterinärmedizinischem Bereich untersucht. Auch in der Geschichte verschiedener Völker finden sich Hinweise auf die Verwendung von Pflanzenbestandteilen der Eibe als Heilmittel, so bei den nordamerikanischen Indianern oder aber im indischen Ayurveda. Die bedeutendsten heutzutage industriell extrahierten Wirkstoffe sind wohl die Taxane, mithilfe derer Krebs häufig geheilt werden kann. Kenntnisreich erläutert der Autor darüber hinaus noch kurz die auf die Eibe bezogene Politik der Pharmaunternehmen und die damit verbundenen ökologischen Auswirkungen. Obwohl die Pharmaindustrie der Eibe durchaus gefährlich werden könnte, liegt es doch in der Verantwortung der Menschen vergangener Jahrhunderte, dass es im Eibenbestand Europas kaum noch geschlossenen Haine oder sogenannte uralte Individuen dieser Gattung gibt. Jahrhundertlang war das Eibenholz zur Herstellung von Langbögen begehrt, wie älteste Grabungsfunde belegen. Die großen frühneuzeitlichen Kriege führten dann zu einem wesentlich erhöhten Bedarf an Eibenholz, so dass man heute davon ausgeht, dass es in Europa bereits am Ende des 16. Jahrhunderts keine nennenswerten Eibenvorkommen mehr gegeben hat.
Und doch regte gerade die Eibe immer wieder die menschliche Phantasie an, wovon Dichtung und bildnerisches Schaffen zeugen. Auch in der Volksmagie spielte der Baum oder seine Teile eine wichtige, zumeist apotropäische Rolle: Vor den Eiben kann kein Zauber bleiben heißt es beispielsweise in einem Spruch, der aus dem Spessart überliefert ist. Diese Aureole von heiligem Zauber scheint der Eibe quer durch die Kulturkreise und Zeiten anzuhaften. Schon in frühester Zeit waren in ihrer Nähe Heiligtümer wie noch heute im japanischen Shinto. Der Lebensbaum einiger Völker scheint ebenfalls eine Eibe gewesen zu sein, Zeremoniengegenstände wurde mit Vorliebe aus Eibe gefertigt und bereits babylonische Tonscherben sind unverkennbar mit dem Nadelmuster der Eibe verziert. Die Pflanze steht kulturhistorisch in Verbindung mit den Übergangsriten am Lebensende, mit der Geburt, mit den Gesetzen einer zyklisch gedachten Zeit und figuriert als Attribut von Göttern und Göttinnen verschiedenster Zeiten und Kulturen.
Diese Aufzählung könnte noch lange fortgesetzt werden. Wie schon im biologischen so auch im kulturhistorischen Teil schafft es Hageneder immer wieder mit seinen liebevoll und kenntnisreich geschriebenen Zeilen zur Eibe zu überraschen, zu fesseln und zu faszinieren.
Das Werk von Hageneder ist zudem ein ausgesprochner Prachtband, der auch hohen bibliophilen Ansprüchen gerecht wird. Auf hochwertigem Papier gedruckt ist das Buch mit einem gefälligen Schutzumschlag ausgestattet und besticht zudem durch eine aufwendige und größtenteils farbige Bebilderung. Sowohl der natur- als auch der kulturwissenschaftliche Teil halten einer akademischen Qualitätsprüfung stand und sind zudem, bei aller faktischen Dichte, äußerst unterhaltsam zu lesen. Die Klärung von Fachbegriffen findet sich in einem biologischen Glossar sowie, sehr elegant und didaktisch klug gelöst, in farbig unterlegten Kästen an den entsprechenden Stellen ihrer ersten Verwendung. Das Buch wartet zudem mit einem Endnotenapparat auf, mit einer Bibliographie, einem Index sowie mit fünf Appendices.
Diese großartige Untersuchung zum saturnischsten aller Bäume scheint sowohl vom Inhalt als auch vom Äußeren nur dazu geschaffen, die ethnobotanische Bibliothek zu adeln. Und nicht nur die.

Vidal-Naquet, Pierre: Atlantis. Geschichte eines Traums, C.H.Beck: München 2006, 216 S., Festband, SU, ISBN 3-406-54372-3, 19,90 €.


Atlantis, dieses sagenumwobene Land, ist nun seit fast 2500 Jahren immer wieder ein Thema und kann sicherlich auf ganz unterschiedliche Art und Weise gesehen werden. Man kann es den geistigen Reichen, der Imagination entsprungen, zuordnen und untersuchen, welcher Gehalt und welches Versprechen dem Land zugeschrieben werden.
Ähnlich geht der Autor, Pierre Vidal-Naquet, vor. Selbst zählt er zu den ganz Großen der französischen Geschichtsschreibung und nach eigenen Aussagen liegt sein liebhaberisches Augenmerk bereits seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts immer wieder auf Atlantis. Wie der Untertitel seines nun erschienenen Buches suggeriert, ist bei ihm eine materielle Existenz von Atlantis von Vornherein ausgeschlossen. Dass das nicht bei allen Autoren der Fall ist, auch davon handelt dieses Buch.
Vidal-Naquet bevorzugt eine geistesgeschichtliche Betrachtung dessen, was er als das „Atlantis-Syndrom“ tituliert.
Ausgegangen wird, wie sollte es anders sein, von den platonischen Dialogen Timaios und Kritias. In diesen fungiert Atlantis als negative Utopie im Gegensatz zu einem idealen Ur-Athen. Dabei soll, so eine der Thesen des Buches, der Krieg des Ur-Athen gegen Atlantis den Schilderungen des Herodot nachempfunden sein. Auch erwähnte Letztgenannter die Atlanter schon als Volk westlich der Maghreb-Region. Bei der Untersuchung des platonischen Atlantis kommt Vidal-Naquet also zu der Anschauung, dass das Atlantis auf Athen bezogen ist. Die These, die der Autor selbst vertritt, formulierte bereits Guiseppe Bartoli 1779, der den Mythos in einer politischen Dimension deutete. Beim platonischen Atlantis handele es sich dabei um das maritime imperialistische Athen zur Zeit der Peloponnesischen Kriegen, welches mit einem idealen Ur-Athen kontrastiert wird. Dass damit die Geschichte um Atlantis noch lange nicht abgeschlossen ist, weiß jeder, der sich mit diesem Mythos einmal beschäftigt hat. Im Laufe der Jahre von Platons Schöpfung bis zum heutigen Tag wurden immer wieder Vereinnahmungen vor- und Versuche unternommen, Atlantis zu lokalisieren.
Viele Gelehrte, unter ihnen einige Archäologen, vertraten die Meinung, Atlantis gefunden zu haben. So wurde es von dem griechischen Ausgräber Spyridon Marinatos mit der Insel Santorin gleichgesetzt, von Eberhard Zangger mit Troia und von K. T. Frost mit dem minoischen Kreta (1900 durch Athur Evans ausgegraben). Die beiden griechischen Thesen (Marinatos und Frost) werden gelegentlich in eins gefasst, etwa wenn ein Vulkanausbruch auf Santorin für den Untergang der minoischen Kultur verantwortlich gemacht wird.
Athanasius Kircher wiederum hielt die Kanarischen Inseln für die Reste von Atlantis und Voltaire die Insel Madeira.
Daneben gibt es den Vorschlag von Jaques Collina-Girard, der die These vertrat, dass Platons Atlantis auf der Inspiration eines Archipels westlich der Straße von Gibraltar fußt, welches in der letzten Periode der Eiszeit versunken wäre, eine 14 mal 5 Kilometer große Insel mit zahlreichen Satelliten.
Zuvor wurde Atlantis mit Palästina gleichgesetzt (Jaques-Julien Bonnard, 1786) und mit nationalistischer Intention von Spaniern zur Zeit der Entdeckung und Eroberung Amerikas mit Mexiko. Aber nicht nur die Spanier waren zeitweise bemüht, Atlantis ihrem Territorium zuzuschlagen. Kurios sicher auch die Schriften von Olof Rudbeck, der das mythische Land nach Schweden verlegte. Zwei britische, eine irische und eine deutsche Version sind ebenfalls in diesem schmalen Band aufgeführt; letztere macht Helgoland zur atlantischen Hauptstadt und Jesus zum Atlantier.
Dass die ursprünglich negative Utopie Platons dabei längst einer positiven gewichen war, versteht sich hierbei von selbst.
In diesem Buch dokumentiert und kritisiert Vidal-Naquet neben den unterschiedlichen archäologischen Ergebnissen die verschiedensten Vorstellungen, die mit Atlantis verbunden wurden und werden. Gerade die dokumentierende Perspektive macht die Bedeutung dieses mythischen Landes als Projektionsfläche für die verschiedensten Ideen sehr deutlich.
Dabei könnte diese Arbeit noch um ein vielfaches erweitert werden, da die Imaginationen der okkulten Geistesgeschichte, etwa aus theosophischer Tradition, leider weitestgehend unberücksichtigt geblieben sind. Lediglich Fabre d´Olivet steht für die erklärt okkulte Deutung von Atlantis.
Vidal-Naquet hat damit ein äußerst informatives Buch zum Thema geschrieben, sehr gut lesbar und welches sich gut als Anregung zu vertiefender Lektüre anbietet. Von diesem schmalen Band ausgehend oder ihn berücksichtigend könnten sowohl weitere wissenschaftliche Untersuchungen als auch phantastische Schöpfungen erfolgen. Denn erschöpft ist das Thema Atlantis sicher noch nicht.

Zumstein, Carlo, Der schamanische Weg des Träumens, Ullstein Taschenbuch Verlag:
Berlin 2007, Taschenbuch, 352 S.,
ISBN 978-548-74277-9, 9,95 €.


Bereits 2003 erschien dieses Buch in der Festbandausgabe, nun also folgt das erschwingliche Taschenbuch nach. Eine Traumlehre des Schamanismus, wie der Titel vermuten lassen könnte, gibt es nicht. So beruht das Buch, wie der Autor Carlo Zumstein hervorhebt, auf seinen eigenen Erfahrungen mit Träumen und denen seiner Mitstreiter und Klienten.
Was uns zu den vielfältigen Aktivitäten des Autors führt.
Herr Carlo Zumstein ist ein an der Universität Zürich promovierter Psychologe, der nach der Graduierung im Bereich Suchttherapie arbeitete. Neben Weiterbildungen in diversen psychotherapeutischen Verfahren, u.a. Klinischer Hypnose und NLP, befasst er sich seit den 70er Jahren eingehend mit schamanischen Heilweisen. So ist er Fakultätsmitglied der von dem Anthropologen Michael Harner gegründeten Foundation for Shamanic Studies (FSS), Autor einiger Bücher zum Thema Heilung/ Heilrituale und mittlerweile auch Leiter der Eigengründung Foundation for Living Shamanism and Spirituality (FLSS). Dabei erkennt die FLSS die Seminare der FSS an; umgekehrt ist das nicht der Fall: Die FSS lehnt die Zusammenarbeit mit Zumsteins Truppe seit 2004 ab.
Klingt alles vielleicht etwas kompliziert, ist es aber nicht. Beide Gruppen arbeiten nach dem core-schamanischen Paradigma Harners, wobei vielleicht formuliert werden könnte, dass Zumsteins FLSS über die Vermittlung, Pflege und den Ausbau dieser Techniken hinausgreift. So sind einige der erklärten Ziele, tiefer in die Lebensgestaltung hin zu Heilung und Kreativität Einfluss zu nehmen, es wird an und mit einer Theorie des Meta-Schamanismus gearbeitet, dem Träumen kommt eine größere Rolle zu als bei Harner und man bemüht sich um die Entwicklung und Gestaltung zeitgemäßer Mythen. Dabei werden das Träumen als Gefährt der Erleuchtung, neue Wege des Heilens oder aber die Sieben Kreise der Seele generiert und elaboriert. Ein anspruchsvolles Programm also, dass in Seminaren vermittelt und entwickelt wird.
So auch das Buch, dass ausschließlich dem Träumen gewidmet ist. Nun bietet der Buchmarkt ja bereits eine Unzahl an Veröffentlichungen zum Thema; was sollte also dieses Werk Neues beitragen können? Einiges.
Zunächst einmal wird jeder Form der Traumdeutung („Deutungsreflex“) eine klare Abfuhr erteilt; nach Erfahrung des Autors ist die rationale Reproduktion und Deutung am ehesten dazu angetan, das reine Erleben in anderen Dimensionen zu verzerren. Eine eigene Kosmologie des Träumens wird dem Leser offeriert, mit eigenen Gesetzmäßigkeiten. Träumen wird als die ursprüngliche Art des Erlebens und Erfahrens dargestellt: unmittelbar und schöpferisch, wobei Wirklichkeit hervorgebracht wird. Begriffe wie Traumzeit und deren Definition folgen zwangsläufig. Immer geht es auch darum, das Träumen aus der Sicht des Träumens zu beschreiben und nicht im Vergleich zum Wachleben. Träumer und Wachender sind nicht dieselben, so eine hier pointierte These Zumsteins. Obwohl Traumdeuter aller Zeiten viel Arbeit darauf verwandt haben, dem Wachen die Fragmente, die vom Träumen übrig sind, zu deuten und so verfügbar zu machen. Damit geht es diesen eigentlich nicht ums Träumen, wie dem Autor in seinem Buch, sondern um die Überbleibsel in der Erinnerung des Wachen. Was dem Träumer im Gegensatz zum Wachen fehlt, sind Geschichte in der und Geographie von der Traumwelt.
Die den praktischen Teil des Buches ausmachenden Seminare Traumpfade I-III nun zielen genau auf die bereits angedeuteten Leerstellen, Biographie und Geographie des Träumers, ab. Schrittweise lernt der Praktizierende die Stärkung der Traumbewusstheit, entwickelt Bewusstseinskontinuität, nutzt Traumabsicht und -inkubation, erschafft den Wachtraum-Platz und betritt das erträumte Traumlabyrinth. Zudem werden vorbereitende Manöver beschrieben, darunter Techniken, die aufmerksamen Castaneda-Lesern bekannt sein dürften (bspw. der Fege-Atem). Träume können etwa mantramistisch verankert werden und schrittweise wird damit begonnen, den eigenen Traumkörper zu träumen. Im Zuge dieser intensiven Beschäftigungen, die hier lediglich grob skizziert sind, wird man den Träumer als grundlegende Bewusstseinsform erfahren, dem Erleben und Wissen eins ist. Das zentrierte Bewusstsein des Wachseins ist vereint mit dem für alles offenen und mit allem verbundenen Bewusstsein des Träumens. Damit wird Träumen zum urmystischen Akt. Zurück in die Einheit vor dem Fall, wenn man so will.
Illustriert ist das Ganze immer wieder mit Beispielen therapeutischer Traumarbeit, der Arbeit von Traumkreisen oder aber persönlichen Schilderungen Zumsteins, so von Schwellenhütern, Toren, Verbündeten etc.
Obwohl der Autor einen undogmatischen und geradezu elektrisierenden Weg des Träumens vorschlägt, der allein auf den direkten Erfahrungen fußt, kommt der Abgrenzung zu psychologischen Sichtweisen so viel Raum zu, dass sich das Buch teilweise wie ein Kompendium aller Traumtheorien und -praktiken liest. Das hat Zumstein nicht nötig. Sein Ansatz und dessen Umsetzung und Ausarbeitung zu den drei Seminaren, zählen sowohl inhaltlich als auch didaktisch zum Besten, was zum Träumen überhaupt verschriftlicht ist. Das besonders den ersten Teil durchsetzende Abgrenzungs- und Definitionsbestreben fordert viel Geduld vom Leser, macht das Werk unnötig schwerfällig und zu einer zusätzlichen, weil entbehrlichen, intellektuellen Herausforderung. Weniger ist manchmal mehr.

Mittwoch, 8. September 2010

Hodapp, Bran O., Der magische Spiegel als Tor zu anderen Welten, Darmstadt: Schirner Verlag 2003, Paperback, 221 S., ISBN 3-89767-152-2, 15,30 €.


Es gibt ja bereits einige Bücher zur Spiegelmagie. Das von Bran O. Hodapp ist unter den neueren Publikationen eines der besseren. Der Autor ist Leiter der Alrunia-Mysterienschule und Verfasser von Büchern wie: „Die hohe Kabbalah“, „Magischer Gegenzauber“ und „Das große Buch der Drachen“.
Hodapp beschäftigte sich auf der Basis verschiedentlich veröffentlichter Schriften mit dem Thema. Das gilt sowohl für die meisten Bauanleitungen für Spiegel als auch für die Beispiele, welche Wesenheiten kontaktiert wurden. So standen Franz Bardon, Pascal Beverly Randolph, Rah Omir Quintscher und Dr. Musallam geistig Pate zu diesem Werk.
In bester bardonscher Manier werden verschiedene Kondensatoren in ihrer Herstellung und Anwendung vorgestellt. Für die weitere Praxis folgen einige Bauanleitungen für unterschiedlichste Spiegel samt Vorschlägen, wie diese zu laden sind. Da gibt es natürliche Spiegel, Hohl-, Sigillen- Engel-, Erd- und Flachspiegel sowie die Kristallkugel. Eine Besonderheit stellt sicher das fest installierte Evokationsdreieck mit integriertem Spiegel dar. Die aufgewiesene Vielfalt sollte für jeden, der sich mit der Spiegelmagie befassen möchte, Anregung genug bieten. Was sich erst einmal recht kompliziert liest, ist, wie der Autor betont, für den Anfänger konzipiert. Später kann die Schau mit entsprechender Ausrichtung schneller und ohne die beschriebenen Hilfsmittel an jeder Spiegeloberfläche bewerkstelligt werden.
Wie es in derartigen Werken üblich ist, fehlen auch die vorbereitenden Übungen nicht, an denen sich der Interessierte schulen sollte, um mit den Sitzungen Erfolg zu haben. Einige Möglichkeiten von Atemtechniken (Porenatmung, Reibeatem), Blickschulung, Visualisierung und die Sensibilisierungen des Dritten Auges geben hier nützliches Rüstzeug. Eine Besonderheit ist die originelle Verbindung der um den magischen Spiegel verwendeten Techniken mit Praktiken des Vajrayana. Ausdrücklich bezieht sich der Autor auf das Kalachakra als Inspirationsquelle. So können bei der Ladung des Spiegels mit den Kräften der Elemente neben der üblichen Stauung Mantrams benutzt werden um die Kraft aufzubauen, bevor sie in den Spiegel abgegeben wird.
Ist der Spiegel dann fertig gestellt, kann es in medias res gehen. Beispielhaft stellt der Autor die spiegelmagische Evokation einer Entität der Venussphäre und die zweier Wesen der Erdgürtelzone dar und beschreibt ausführlich den rituellen Ablauf der Kontaktaufnahme. Ein Höhepunkt des Buches ist dabei sicherlich das ausführlich dargestellte „Ritual der Hermetischen Vier“, welches Hodapp aus der Tradition der „Adonistischen Gesellschaft“ entlehnte. Entsprechend ist die Bibliographie eine Schriftenversammlung abendländischer Ordenspapiere vornehmlich des ausgehenden 19. und dann des 20. Jahrhunderts.
Weitere Nutzbarkeit von Spiegeltechniken sieht Hodapp in Heilungsritualen. Die dabei vom Autor vorgebrachte Vorstellung von Karma und Verantwortung illustriert seinen Ethos und bleibt einer verbreiteten Kausalkonstruktion von Wirklichkeit verpflichtet.
Einige nützliche Entsprechungstabellen sowie die listenhafte Aufführung der günstigen Zeitpunkte (z.B. Stunden-, Tages-, Monats- und Jahresherrscher) für die Arbeit runden das Buch ab. Dort findet die Astromagie Anbindung an die Spiegelarbeit. Etwas ungewöhnlich ist die mancherorts verschleiernde tabellarische Darstellung der Erdenergiezonen und Einflussflächen. Das hätte sicher klarer dargestellt werden können. Zum Abschluss finden sich noch verschiedene Kopiervorlagen zu Herstellung einzelner Spiegel.
Somit fällt das Buch durch eine Fülle von exzellenten technischen Anregungen auf, wobei Hodapp bemüht ist, diese undogmatisch aufzubereiten. Das gelingt ihm aus seiner eigenen Praxis heraus auch gut. Das Buch ist somit eines der aktuellen Werke, mit denen der (werdende) Spiegelpraktiker nicht falsch liegt.

Holitzka, Marlies & Klaus, Der kosmische Wissensspeicher, Schirner Verlag: Darmstadt 2002, Paperback, 267 S., ISBN 3-89767-129-8, 17,40 €.


„Alles ist mit allem verbunden“ lautet die These, unter der die beiden Autoren die verschiedensten Theorien und Beobachtungsergebnisse der letzten Jahrzehnte zusammen tragen. Der hier glücklich unternommene Versuch, aus dem Gedanken eines kosmischen Netzes eine achtsamere, verantwortungsvollere Weltsicht zu entwickeln, ist derzeit häufig Thema verschiedenster Publikationen.
Beide Autoren sind im Seminarbetrieb erfahren und verquicken ihre Kenntnisse mit den Untersuchungen und Einsichten aus Quantenphysik, systemischer Therapie und neuerer Humanwissenschaft. Dabei wird fundiert in die jeweils genannten Gebiete eingeführt. Vieles, was mit den Namen Rupert Sheldrake, Masaru Emoto, Fritjof Capra, Ken Wilber, Ervin Laszlo oder Bert Hellinger verbunden ist, wird dem einschlägig Belesenen sicherlich bekannt vorkommen.
Neben den theoretisch formulierten morphogenetischen Feldern, der Akasha-Chronik, einem fünftem Feld und den praktischen Erkenntnissen aus der Arbeit mit informiertem Wasser oder systemischen Familien- und Organisationsaufstellungen, werden dazu etwas unbekanntere Anwendungsfelder zur Darstellung gebracht, wie beispielsweise das Phänomen Fernheilung oder das Remote Viewing, eine Methode, die einst mit Geldern des amerikanischen Militärs zum Zwecke der Spionage entwickelt wurde. Ein Teil des Buchs beschäftigt sich zudem mit dem Schamanismus in Huna-Prägung. Hier, wie auch zum informierten Wasser, lässt sich ein praktischer Nutzen unmittelbar ableiten. Andere Techniken, wie Aufstellungen oder das Remote Viewing erfordern sehr viel tiefer gehende Beschäftigung und sind sicher nicht sofort alltäglich nutzbar.
Das Buch ist in Kapitel gegliedert, die ideell zusammen hängen, aber nicht unbedingt aufeinander aufbauen. Das hat den Vorteil, dass man nicht festgelegt ist, an welcher Stelle man zu lesen beginnt.
So ist die Arbeit von Marlies und Klaus Holitzka ist eine gut kompilierte Komposition, mit persönlichen Erfahrungen angereichert, hervorragend bebildert und in erfrischender Sprache leicht verständlich geschrieben.

Huettl, Andreas/König, P.R., Satan. Jünger, Jäger & Justiz, Kreuzfeuer Verlag: Großpösna 2006, Paperback, 416 S., ISBN 978-3-937611-01-0,
18,00 €.


Satanismus ist ein polarisierendes Reizthema, besonders, wenn er in der Presse im Zusammenhang mit Straftaten immer wieder auflagenmehrend in Szene gesetzt wird. Das scheint sich zu lohnen, wie immer neue Werke von selbsternannten Experten und Journalisten zeigen, die nach dem Prinzip „Je reißerischer und abscheulicher, desto besser“ publizieren.
Andreas Huettl hat sich nun mit einigen der „satanistischen“ Fälle in den letzten Jahren beschäftigt. Er ließ sich die entsprechenden Ermittlungsakten zukommen und studierte diese sorgfältig. Er korrespondierte mit dem Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern, den Gerichtshöfen und Polizeidirektionen. Von satanistischen Straftaten keine Spur. Selbst so spektakulär vermarktete Fälle wie der „Satansmord von Witten“ werden bei genauerem Hinsehen zu so etwas wie Theaterinszenierungen, zumindest was den angeblich satanistischen Hintergrund angeht. Daneben arbeitete der Leipziger Anwalt die (zweifelhaft) heraus stechenden „Enthüllungswerke“ der letzten Jahre auf und findet auch hier wieder nichts an Faktizität.
Aber immerhin haben diese stereotyp vorgebrachten Anwürfe Tradition, wie Huettl aufzeigt: Mord und Kindesmissbrauch wurde den frühen Christen und später, nach deren Etablierung, von diesen wiederum den Juden unterstellt. Zu einigen recht zeitnahen Fällen (gemessen an den letzten 2000 Jahren) hat Huettl die entsprechenden juristischen Publikationen studiert und skizziert diese kurz. Zudem wird auf die bestehende Rechtslage gründlichst eingegangen und gelegentlich hysterisch geäußerten Schreien nach einer Gesetzgebung gegen satanistische Straftaten eine klare Abfuhr erteilt.
Diese juristische Diskussion in den ersten (Experten 1 und 2) und letzten Kapiteln ist unglaublich spannend und hält den Bezug zum Buchtitel unbedingt. Wie auf dem Buchrücken versprochen: „Eine interdisziplinäre Betrachtung zu Satan und dessen Beziehung zu den Massenmedien, der Polizei und den Gerichtshöfen.“
Etwas unglücklicher, euphemistisch ausgedrückt, fällt jedoch das viel zu weite Teile des Buches einnehmende Gespräch zwischen Huettl und seinem Ko- Autoren Peter-Robert König aus. Das mag an der Unkenntnis der Ordenslandschaft und Königs seitens Huettls liegen, der diesen scheinbar erst im Zuge seiner Recherche und dann während der Entstehung des Werkes kennen lernte. Und ihm viel Platz einräumt.
P.- R. König ist in seinem Element. Als altgedienter Sammler von Informationen (manche sagen auch Klatsch) aus und um Logen und Orden brilliert er hier wieder in altbekannter Form. Wissenschaftlich ist das sicher nicht, obwohl er gern die Umsetzung ethnologischer Methodik für sich in Anspruch nimmt. Schließlich ist er ja „Mitglied“ in den meisten Verbindungen, über die er sich auslässt. Wie aus den eigenen Ausführungen von Herren König zu schließen ist, besteht für ihn die Mitgliedschaft auch weiter, wenn diese Gesellschaften es selbst ausdrücklich nicht mehr wünschen sollten. Es gilt das geschriebene Wort, d.h. die Urkunden, die Herr König sammelt, und die von recht unterschiedlicher ästhetischer und geistiger Qualität sind. Gleich an dieser Stelle muss eine richtigstellende Passage eingefügt sein:
Herr König hatte und hat, entgegen seinen Behauptungen, keine Grade der Fraternitas Saturni inne. Was ihm eigentlich auch klar sein müsste, wenn er die Orden, über die er schreibt, so gut kennen würde, wie er behauptet. Als wohlmeinende Hilfestellung sei er auf die abgebildete „Urkunde“ hingewiesen, und dort auf die Aussteller. Wie er selbst an anderer Stelle ausführt, ist keiner der Ausstellenden zum Zeitpunkt der Ausfertigung Mitglied der Loge FS gewesen. Und das schon seit Jahren nicht. Wie sollen diese dann in irgendwelche Grade der FS initiieren können? Erschwerend, da von Unruhe stiftendem Potential, sind die auf dieser „Urkunde“ angegebenen „Rechtstitel“, die von der FS weder vergeben wurden noch werden. [Die FS informierte zu diesen käuflichen „Urkunden“ an anderer Stelle.] Das ist völliger Unsinn. Hier sitzt Herr König fragwürdigen Informanten auf, die er sich an anderer Stelle allerdings selbst nicht zu schade ist, verächtlich zu machen. Er redet dabei von ich-schwachen Personen, bürgerlich biederen und verklemmten Existenzen etc.pp..
Nun ja, die enttäuschten Herzen wird es wie überall immer geben, Konflikte untereinander sicher auch und als lachender Dritte, als der er sich augenscheinlich fühlt, scheint Herr König ja sehr begabt, Kommunikation mit Profilneurotikern in die Vergrößerung seines Archivs umwandeln zu können. Dazu Gratulation. Aber das schweift vom Buch ab.
Aus seinem über Jahrzehnte zusammengesammelten Material kondensiert er also wieder einmal das, was er für nötig hält, um Andreas Huettl und den Leser über die Orden und Logen aufzuklären, in denen Satanismus gar nicht vorkommt. In, nach eigenen Aussagen von Freud inspirierter, küchenpsychologischer Manier eigener Rezeptur wird dann lächerlich gemacht, was die Seiten aushalten.
Diese Verächtlichmachung ist unwürdig und besonders deutlich in der Reduktion der Person Crowleys auf einen in Dampfbädern Sperma verzehrenden Homosexuellen, dessen magisches System in ebendiesen Praktiken ihr Zentrum findet. Hier unterscheidet sich König, in einem vielfach auf Unterstellungen fußendem Argumentationsstil und in kleingeistigen Werturteilen nicht von den Menschen, von denen er sich mit Drohungen umschmeichelt fühlt und denen er genau diese Umgangsformen zum Vorwurf macht.
So verläuft das Gespräch zwischen beiden Autoren über weite Kapitel (die hier Grade heißen...) recht eintönig. König dominiert im Schwelgen in seiner unübertroffenen Sachkenntnis, wobei dann wieder die in extenso praktizierte Beschäftigung mit Okkultgruppen und -orden für dieses Buch ad absurdum geführt wird, denn an mehreren Stellen geben beide Autoren zu, dass es in den genannten Gruppen keinen Satanismus gibt. Irgendwie gegenläufig zur wohlmeinenden Intention von Huettls Buch, der davon viel zu viel aus der Hand gibt.
So zerfällt dieser Text in zwei Teile. Der erste, für deren Autorschaft sich Andreas Huettl verantwortlich zeichnet, ist äußerst informativ und räumt auf sachliche Art fundiert mit häufig kolportierten Gräuelgeschichten auf. Mehr aus der Feder von Huettl und weniger der selbstherrlichen Ausbreitung von Königs Genius hätten dem Werk gut getan. Was letzterer beiträgt, drückt das Niveau des Buches auf eine „Okkult-Gala“ und bedient eher voyeuristische Interessen und den selbstdarstellerischen Drang des Ko-Autors.
Vermutlich hat Herr König ein Problem; schade für das vorliegende Buch, dass das so viel Platz einnehmen musste.

Kirchhoff, Jochen, Räume, Dimensionen, Weltmodelle, Hugendubel Verlag: München 1999, 336 S., ISBN 3-424-01449-4, 22,50 €.


Bei diesem Werk handelt es sich in erster Linie um einen fundamentalen Angriff auf die vorherrschenden Lehrmeinungen der Kosmologen.
Gleich einleitend stehen 42 programmatische Fragen an die Physik und andere All-Erklärer, die deren formelhaften Okkultismus hinterfragen.
Die Qualität naturwissenschaftlicher Theorien wird beispielhaft für die Gravitation, Masse und Lichtgeschwindigkeit (die, so lerne ich, keineswegs konstant ist, sondern von Breitengrad und Tageszeit abhängig) als mythisch-archetypisch geladen dargestellt. Erkenntnis findet nach Kirchhoff jenseits von reduktionistischen Betrachtungen statt.
Er kritisiert beispielreich den verschleiernden Gebrauch der physikalisch-mathematischen Sprache, was ihn in Gegensatz zu maßgeblichen Vertretern der naturwissenschaftlichen Welterklärung setzt.
Der Mensch wird bei ihm als integraler Weltbestandteil verstanden, der als Leib-Seele-Geist-Gestalt wirklich ist und Wirklichkeit erkennen kann. Wirklichkeit außerhalb des Menschen und ohne Bewusstsein ist für den Autor eine Phantasmagorie. Analog zu der formulierten menschlichen Trinität denkt Kirchhoff eine kosmische: die materielle Welt, den Weltgeist und die Weltseele. Daraus ergibt sich eine bewusste Materie. Wenn anders gedacht, so seine Kernkritik, als durch eine Weltseele verbunden und mit einem göttlichen Logos (Weltgeist) versehen, ist die Existenz von Leben und Intelligenz nur mit extrem artifiziellen Mitteln mehr zu verschleiern als zu erklären.
Damit zählt dieses Werk zu den immer mehr werdenden Stimmen, die neue Ansätze in der Naturwissenschaft fordern.
Und damit steht Kirchhoff nicht allein; die Befreiung der Naturwissenschaft aus den Klauen der asketisch-leibfreien, lebensfernen Forschersubjekte, denen Teilchenbeschleuniger als sakrale Stätten dienen, ist auch das Anliegen der transpersonalen Bewusstseinsforschung eines Ken Wilber oder eines Stanislav Grof, denen sich der Autor verbunden fühlt. Gefordert wird eine Naturwissenschaft, die nicht alternatives Mentalprojekt ist, sondern aus transpersonaler/transmentaler Bewusstseinsverfassung heraus soll sie holotrop und integral betrieben werden.
Es tauchen weitere illustre Namen auf, denen sich Kirchhoff geistig verpflichtet fühlt, meistenteils als Quelle und Ausgangspunkt seiner naturphilosophischen Betrachtung: neben Schelling, Hegel, Nietzsche, Bruno, Newton, Faraday, Schopenhauer und Sheldrake auch tantrisch-buddhistische Texte und die Koans des Zen (Schwere/Gravitation als das Wurzel-Koan der Physik).
Sein Gegenentwurf dann ist die Darstellung seiner Radialfeldtheorie im zweiten Teil des Werkes.
Diese formt Kirchhoff unter anderem aus dem Scheitern Newtons, der die Gravitation schlussendlich mit der Allmacht und Allgegenwart Gottes erklärte. Diese Kraft beschreibt er in 15 Thesen als allgegenwärtig und für den Menschen nicht abschirmbar. Ihr zu Grunde liegt nach dem Autor ein Feld, das eine radiale Form und Intelligenz hat.
Dieses Radialfeld und seine Wirkungen nennt Kirchhoff poetisch den ätherischen Leib der Demeter und formuliert für jedes Gestirn ein solches Radialfeld. Diese durchdringen sich wiederum gegenseitig nicht und aufgrund radialenergetischer Wechselwirkung lassen sich die Bewegungen der Himmelskörper erklären, in denen sich göttlicher Wille manifestiert. Dieser Wille ist, dem Autor folgend, ein kosmisches Bewusstsein, die Gestirne sind der Leib der Götter und strukturell (Radiallinien) in der Vertikalachse des menschlichen Leibes nachgezeichnet. Eingebettet sind diese radialen Felder zudem in ein prämordial genanntes Feld.
Die wirkende Radialfeldenergie (auch Nullpunktenergie) ist in Kirchhoffs Theorie das Durchgangstor zur Weltseele, zu seelisch-geistiger Nullpunktenergie und die Verbindung beider in einem Punkt der Einheit ist der Faktor, der Willensfreiheit ermöglicht.
Damit wird ein universales Bewusstseinsfeld postuliert, das Medium aller Gedankenimpulse ist. Jegliche paranormale Wahrnehmung (die instantan wirken) ist auf dieser transmentalen Stufe erfahrbar.
Mit der Überschreitung der gängigen Dogmata durch die Radialfeldtheorie regt Kirchhoff ein neues Denken in der Physik an und bereichert den Buchmarkt um ein stimulierendes Werk für alle, denen die Welterklärungsmodelle der herrschenden Naturwissenschaft schon immer einen schalen Geschmack im Mund hinterlassen haben.
Dieses Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Leiblichkeit im Erfahren und Denken unseres Universums; dazu eine Herausforderung, gewohnte Denkmuster zu verlassen. Besonderen praktischen Wert hatte für mich als Nicht-Naturwissenschaftler die Aufforderung, immer wieder die ganz existentielle Frage nach der Erfahrbarkeit von Modellen zu stellen, gemeinsam mit der Betrachtung der Prämissen, auf denen diese fußen.

Leene, Mia & Henk, Der Atem der Gnosis, Verlag Zeitenwende: Radeberg 2007, Paperback, 186 S., ISBN 978-3-934291-44-7, 16,80 €.


Gnosis bezeichnet eine religiöse Strömung und kann einfach mit Wissen übersetzt werden. Dabei handelt es sich nicht lediglich um intellektuelle Kenntnis, sondern gemeint ist meist ein Wissen, das aus der Erfahrung resultiert.
Dass dieses wiederum sehr schwer in Worten zu fassen ist, von dieser Problematik der Vermittelbarkeit zeugen alle mystischen oder gnostischen Texte. Zu diesen eigentlichen Werken wird dann meist eine Vielzahl exegetischer Schriften veröffentlicht, die das Unmögliche versuchen, nämlich das implizite Numinosum der ursprünglichen Texte zu fassen. Dass eine derartige Sektion durch den Verstand selten einen besseren Zugang bereitzustellen vermag, liegt auf der Hand. Auf diese Art und Weise funktioniert der vorliegende Text nicht. In Der Atem der Gnosis von Mia und Henk Leene wird, dem oben geschilderten Problem Rechnung tragend, gar nicht erst versucht, ausschließlich für den Verstand zu schreiben. Hier schreiben keine Wissenschaftler im herkömmlichen Sinn, sondern Gnostiker. Das Werk ist also für ein ganzheitliches Lesen konzipiert, wenn man so will.
Dabei hat ein Autor, Henk Leene, die gnostischen Lehren schon im frühesten Lebensalter kennen gelernt. Sein Vater, Jan Leene, ist besser bekannt unter dem Pseudonym Jan van Rijckenborgh. Dieser gründete mit seinem Bruder Zwier Willem Leene (dem Onkel unseres Autors Henk) das Lectorium Rosicrucianum. Beide waren zuvor Novizen in Max Heindels Rosenkreuzes-Gemeinschaft gewesen. Als Jan Leene dann 1968 verstarb, folgte ihm Henk Leene als Großmeister des Lectorium nach. Allerdings scheint die Besetzung dieses Amtes etwas unglücklich geendet zu sein; bereits 1969 wurde Henk Leene beschuldigt, agnostische und magische Kräfte zu gebrauchen, woraufhin er das Lectorium verließ und noch im selben Jahr die Gemeinschaft R+C Rosae Crucis gründete, die nun wieder stärker an den Lehren seines Vaters Jan Leene und dessen Lehrer Max Heindel orientiert ist.
Aber zurück zu Buch. Wie bereits angemerkt, richtet sich das Werk nicht ausschließlich an den Verstand, sondern die Autoren vermögen es darüber hinaus, sich mit dem Text an eine innere Instanz zu wenden und diese in Schwingung zu versetzen. Diese Instanz, Seele, Geist oder göttlicher Funke genannt, ist eine der wichtigsten Ingredienzien jeder gnostischen Lehre und Schule. Kultiviert und in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt, steigt sie als Lichtsohn zu Gott auf, befreit und wieder eins mit dem Schöpfer. Das ist die Rückverbindung, die mit dem lateinischen Wort religio umschrieben ist, die den inneren Kern jeder echten Religion ausmacht und die den Autoren wichtigstes Anliegen ist.
Dabei kümmert sich Mia und Henk Leene in ihrer Darstellung nicht um historische Kategorisierungen, sondern können anhand des inneren Gehaltes der einzelnen Lehren aufzeigen, dass derartige Trennungen artifizielle Verstandesleistungen sind. Aus der inneren Instanz betrachtet zeigt sich, dass es so etwas wie ein gnostisches Kontinuum durch die Zeiten und Kulturen gibt, das sich naturgemäß immer im Gegensatz zur jeweils etablierten religiösen Institution und ihren Dogmen befand. Die zentrale Bedeutung der Drei Großen (Glaube, Liebe und Hoffnung) für jeden gnostischen Einweihungsweg wird dabei immer wieder deutlich, genauso wie der Abstand von jeglichem Besitzstreben. Darüber hinaus lassen sich viele weitere Gemeinsamkeiten oder besser Konstanten in Lehre, Praxis, Moralvorstellungen auffinden, denen die Autoren durch die Zeiten und verschiedenen Schulen nachgehen. Auf dem Weg liegen die Katharer, die Lehren des Hermes Trismegistos, des Apollonios von Tyana oder aber die von Jesus und Jakob Böhme, von Pythagoras, den Druiden, den Stoikern und vielen mehr. Alle aufgeführten Lehrer oder Schulen verbreiteten die gnostische Antwort auf das Verhältnis des Inneren Menschen zum Äußeren Menschen, formulierten den Weg zur Heimkehr der Seele und das universale Gesetz der Liebe; Topoi, die sich wie rote Fäden durch die Betrachtung ziehen.
In der luziden Darstellung einzelner gnostischer Lichtträger ist es den Autoren gelungen, den Atem der Gnosis derart in die Zeilen des Buchens einzusenken, dass viele Passagen des Textes zur Meditation einladen.
Wer also die zigste historische Abhandlung zu gnostischen Gruppen und deren Lehren erwartet, wird sicher enttäuscht sein. Wer allerdings auf gnostischen Pfaden wandelt oder den inneren Drang verspürt, dieses zu tun, findet hier wertvolle Seelennahrung.
Der Mensch ist der Weg.

Lussi, Kurt, Im Reich der Geister und tanzenden Hexe, AT Verlag: Aarau 2002, Festband, SU,
336 S., ISBN 3-85502-722-6; 28,90 €.


Die Ethnologen, oder in diesem Falle besser: Völkerkundler beschäftigen sich ja bekanntlich mit den Sitten und Gebräuchen der Völker. Sagt ja schon der Name. Im Besonderen können sie sich mit der Religion von Ethnien beschäftigen. Diese Spezialisierung ist bei Forschern und Rezipienten weithin beliebt; besonders gut gehen dabei die Einblicke in so ferne Realitäten wie etwa die Gebräuche der Einwohner Papua-Neuguineas, tibetischer Lamas oder indischer Sadhus. Je exotischer, desto besser. Und dank vorangaloppierender Globalisierung ist sicher bald jedwede Information zu religiösen Gebräuchen auch entferntest lebender Menschen verfügbar. Und damit aller Wahrscheinlichkeit nach auch Mitmenschen, die mit mehr oder weniger entsprechenden Methoden die Seminarlandschaft bereichern. Soweit bekannt.
Kontrapunkt und Ergänzung zu einer solchen Entwicklung wäre in diesem Bild die Besinnung auf die religiösen Traditionen, die im heimatlichen Gebiet noch das Leben der Groß- bzw. Urgroßeltern prägten. Diese scheint, wenn man dem Autor des hier vorgestellten Werkes glaubt, langsam in Vergessenheit zu geraten.
Gegen eine derartige amnestische Tendenz schreibt und arbeitet also Kurt Lussi an. Der Mann ist Konservator für religiöse Volkskunde am Historischen Museum Luzern mit dem Forschungsschwerpunkt auf der Praxis des Volksglaubens und der Volksmedizin im Alpenraum. Und damit sind es besonders die magisch-religiösen Bezugspunkte des alpinen Lebensraums, die in diesem Werk referiert werden. Nicht nur in diesen Breiten mischt sich seit den Zeiten der Christianisierung die althergebrachte magische Selbsthilfe mit den Formen institutionalisierter Frömmigkeit auf eine Art und Weise, die unter Umständen auch heute noch angetroffen werden kann. Dabei handelt es sich keineswegs um elaborierte Systeme im Stile der frühneuzeitlichen Gremoirien, sondern um den magischen Pragmatismus unserer ländlich lebenden Vorfahren. Und das Leben dieser Ahnen schien durchaus seine bedrohlichen Momente gehabt zu haben, vor denen man sich schützen musste. Zeugen einer unter Umständen bedrohlichen anderen Welt können exponierte Steine, Bäume, aufgestellte Kreuze oder verlassene Kapellen an unwegsamen Stellen sein.
Da gilt es unruhige, weil unerlöste Tote mit Abwehrzaubern fernzuhalten oder aber sich der Hilfe gutartiger an Geisterwegen in Bäumen lebender Hexen zu versichern. Nachts können sich Geister als Albdrücke einstellen, wie das aufsitzende Töggeli, das den Bedrängten würgt. Aber es gibt Schutz. Krankheiten oder hausgebundene Unruhegeister werden mit geweihten Pflöcken in Balken eingeschlossen, fratzenhafte Fensterladenhalter hindern umherschweifende Wesen am Eintritt in ein Haus. Denselben Schutz bieten Kuh- oder Ochsenschädel dem Vieh, wenn sie über Stalltüren angebracht sind. Als Verteidigungsmaßnahmen spielen geweihte Wasser, ebensolche Palmwedel, Kompositamulette mit christlichen Versatzstücken wie Kleinstreliquien oder Mitbringseln von Pilgerreisen, der Schutz durch Heiligenmedaillen, magische Zeichen an Türen und Wänden sowie vieles andere, das im Buch kenntnisreich dargestellt ist, ein Rolle.
In weiteren ausführlichen Kapiteln beschäftigt sich der Autor mit Exorzismen und Heilungen, den Vorstellungen um den Hexensabbat, mit der Wächterfunktion von Kobolden und Zwergen und, besonders aufschlussreich, dem Ursprung so verbreiteter Feste wie dem altirischen Halloween, zu dem es auch mitteleuropäische Pendants gibt. Viele dieser Feste, die heute fast sinnentleert in der Event-Kultur aufgegangen sind, haben einen magisch-religiösen Hintergrund. Diese Ursprünge werden ausführlich dargestellt. Auch die Rolle von Hunden als Begleiter der Türst (des Totenheeres) oder die Katze als Tier der Hexen ist neben einer Unzahl weiterer Vorstellungen dokumentiert.
Die herausragende Mehrheit der beispielhaften Geschichten in diesem Buch stammt aus den Schweizer Alpen, wobei Kurt Lussi immer wieder auch die autochthonen Traditionen nördlicher gelegener Landstriche einbezieht. In Exkursen werden zudem die Zusammenhänge zu traditionellen Weltbildern anderer Kulturen aufgezeigt (bspw. der Aborigines). Das Buch ist, neben der sehr unterhaltsamen und kenntnisreichen Fülle an vormals dominierenden ländlichen Auffassungen zu Zauber, Jenseits und Dämonen, herausragend bebildert; viele der Abbildungen geben einmalige Exponate aus der Sammlung des Autors wieder.
Ein hochwertiges dokumentarisches Wurzelwerk in einem kulturnivellierenden Konsumzeitalter.

Sharma, Arvind, Advaita Vedanta. Erfahrung der absoluten Einheit, Lotos-Verlag: München 2006, Festband, SU, 160 S., ISBN 3-7787-8186-3,
19,95 €.


Gern als Höhepunkt der indischen Philosophie bezeichnet, sind die Lehren des Advaita Vedanta derzeit besonders durch Autoren wie Eckhard Tolle u.a. sehr populär geworden. Wer bei der Vielzahl der Derivate vedantischer Lehre den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen kann und den Sand kaum noch aus den Augen bekommt, ist mit diesem Buch gut bedient. Arvind Sharma ist Inder und Professor für Vergleichende Religionswissenschaft, vormals in Harvard und derzeit an der McGill University in Montreal, Kanada.
Die unterschiedliche Kategorisierung von Religion und Philosophie Indiens im Gegensatz zum Abendland arbeitet er einleitend heraus, bevor eine kurze Darstellung der Schulen indischen Denkens anfolgt. Dabei wird die variierende Anbindung der Lehrmeinungen an die Veden durchdekliniert sowie die divergierenden Sichtweisen zu Begriffen wie Wirklichkeit, Atman und Brahman. So wie historisch klassifiziert werden kann, lässt sich von jeder dieser Vorstellungen ein ähnliches Ordnungsschema ableiten, von dem aus der Gegenstand des Buches fassbar wird. Die Lehre von der „Nicht-Zweiheit“, die direkt auf den Veden (und hier auf den Upanishaden) fußt, postuliert dabei am radikalsten jegliche Form von Trennung als Irrtum. Ziel und Verwirklichung dieses Erkenntnisweges ist Jivanmukti, die Befreiung zu Lebzeiten.
Der Text ist in drei Teile gegliedert, die wiederum, entsprechend dem Erleben und Forschen des Autors, verschiedene Formen der Einordnung zum Gegenstand haben.
In einem ersten Teil nähert sich der Autor dem Advaita Vedanta also von den Schriften her. Einer der Höhepunkte von Sharmas Werk ist dabei sicherlich die Darstellung der exegetischen Leistung von Shankara (788-820) an den Upanishaden, die in der Herausstellung von vier bis fünf Schlüsselaussagen (Mahavakyas), je nach Lesart, gipfelt. Veranschaulicht werden diese großen Sätze mit einer Vielzahl von zitierten Dialogen aus den Upanischaden, welche die Methodik aufzeigen, wie bei der zentralen Gleichsetzung von Brahman und Atman vorgegangen wird.
Im zweiten Teil sind es verstandesgeleitete, in erster Linie erkenntnistheoretische Fragen und auf Logik basierende Antworten, anhand derer die Philosophie des Advaita Vedanta dargestellt wird. Von verschiedenen Erfahrungsbereichen des Bewusstseins ausgehend wird nachgefragt, was als letztendlich wirklich angesehen werden kann. Dabei kam schon Shankara zu dem Schluss, dass allein „universale, reine Existenz (oder reines Bewusstsein)“ nicht denkend widerlegt werden kann. Aus diesem Grunde kommt diesem im Advaita die Stellung der Höchsten Wirklichkeit als der zu, die durch alle Formen der Existenz örtlich und zeitlich hindurch fortbesteht. Die einzelnen Schritte, die auf logische Weise zu diesem Ergebnis führen, werden von Sharma verständlich nachvollzogen, bevor eine weitere Form der Annäherung ans Advaita Vedanta angepackt wird.
Im dritten und letzten Teil des Buches wird die Durchdringung des Themas von der Seite des Praktizierenden unternommen, so weit das in Worten ausdrückbar möglich ist. Der Autor selbst ist mit der meditativen Seite dieser Lehrart seit frühester Jugend wohl vertraut und zitiert im Angang von praktischer Seite gern und ausführlich kulturübergreifend aus den mystischen Traditionen. Besonderes Gewicht liegt hier aber auf den indischen Philosophen, wie Ramana Maharshi, Jiddu Krishnamurti und anderen.
Deutlich wird dabei, dass es immer die Schnittstelle zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit ist, auf der sich der Advaitin bewegt. Da Sprache hier als Mittler oftmals versagt, ist der gelungene Versuch Sharmas an dieser Stelle besonders zu begrüßen.
In seiner übersichtlichen Dreiteilung und inhaltlichen Kompaktheit eignet sich der schmale Band von Arvind Sharma sehr gut als Basis der Beschäftigung mit dem Advaita Vedanta, wie immer das Interesse des Lesers gelagert sein mag.

Stefánsdóttir, Erla, Lífssýn mín. Lebenseinsichten..., Neue Erde Verlag: Saarbrücken 2007, Festband, 205 S.,
ISBN 978-3-89060-264-6, 26,80 €.


Entgegen den verbreiteten Medienberichten, die gern mit plakativen Begriffen arbeiten, ist die Seherin Erla Stefánsdóttir nicht die "Elfenbeauftragte" von Island. Ein solches regierungsamtliches Institut existiert nicht, wenngleich es eine gute Beschreibung dessen wäre, was Frau Stefánsdóttir regelmäßig macht. Und da sich dieser Begriff eingebürgert hat, wird er auch im Untertitel des hier vorgestellten Buches verwendet. Erla Stefánsdóttir wird bei großen Bauprojekten in Island zu Rate gezogen, handelt es sich dabei nun um die Errichtung größerer Gebäudekomplexe oder Straßenneubauten. Sie berät die Bauausführenden in Fragen zu Elfenwegen oder den Wohnorten von Trollen und Zwergen, die durch die Arbeiten zu Schaden kommen könnten. Im Härtefall wird die Bautätigkeit dann auch wirklich ausgesetzt und an anderer Stelle wieder aufgenommen. Zudem gibt Erla Stefánsdóttir Karten der verborgenen Welten heraus, auf denen sich eben die Reiche von Elfen, Zwergen und Wassergeistern eingezeichnet finden. Dennoch handelt es sich dabei nur um einen kleinen Teil der Beschäftigungen der Autorin.
Ihre außergewöhnliche Wahrnehmungsfähigkeit besteht seit Kindestagen und humorvoll erzählt Erla Stefánsdóttir von den Verwirrungen gerade in jener Zeit, beispielsweise wenn sie bei familiären Treffen Personen grüßte, die nur sie sehen konnte und durch Nachfragen verunsichert dann wiederum wirklich Anwesende nicht begrüßte. Durch ein sie auffangendes Umfeld musste sie sich in ihrer Wahrnehmung feinstofflicher Zusammenhänge nie zügeln; allerdings musste sie den Umgang mit ihren naturgegebenen Fähigkeiten erst erlernen, woran der Leser in dem über weite Teile autobiographischen Werk teilhaben kann.
Schon früh kam es dabei nicht nur zu Kontakten mit Naturwesen, sondern auch zu jenen mit aus jenseitigen Sphären wirkenden Heilern und Lehrern, von denen sich die Autorin bis heute beraten lässt und die ihr bei den verschiedenen von ihr übernommenen Aufgaben helfen.
Zudem kommen klassische Felder der Sicht zur Sprache. So gibt es ein Kapitel über die Welt der Materie, eines über die der Gefühle, der Gedanken und der Intuition, die jeweils aus Erlas ganz eigener Sicht beschrieben sind. Unter den Schilderungen finden sich klassische Themen, wie die Energiezentren des Menschen, welche die Autorin allerdings weniger dem klassischen im Hinduismus tradierten Schema entsprechend sieht, oder aber Beschreibungen der energetischen Signaturen menschlicher Entwicklung und geschaute Bilder von Tieren, Landschaften, Städten bis hin zu einzelnen Gebäuden, wobei die Liste so umfangreich wie die menschliche Wahrnehmung selbst sein müsste. Selbst die Hellsichtigkeit in Vergangenheit und Zukunft ist für die Autorin alltäglich. So gibt sie mit ihrem Werk tiefen Einblick in die viel umfassendere und vielfältigere Welt, als sie gewöhnlich mit dem Organ Auge zu sehen ist.
Bei der Kultivierung ihrer seherischen Fähigkeiten spielte die Theosophische Gesellschaft in Island eine recht große Rolle, im Rahmen derer sie mittlerweile Kurse gibt und aus der heraus sie ihren Verein "Lýfssín" (dt.: Lebensschau) in den 1990ern gründete.
Während Erla schon vorher immer wieder ihre Arbeit in dieser Gruppe anspricht, wird der Umstand im letzten Kapitel besonders deutlich. Hier beschreibt die Autorin die Erfahrungen mit den sieben Hauptwegen der menschlichen Entwicklung aus ihrer Sicht. Die Theosophie kennt diese nummerierten Wege als unterschiedliche energetische Qualitäten, die einzeln oder in Kombination die Polung einer individuellen Seele anzeigen und damit den jeweiligen Weg für Wachstum und Werterfüllung beschreiben. Jeder dieser Weg wird von Meistern gehütet, die dieser Qualität vollständig entsprechen.
Aus ihrer Sicht heraus nun ersetzte die Autorin die Nummerierung der Wege durch Farbzuordnungen und spricht dabei von Strahlen, was ihr zutreffender scheint. Erla vermutet weiter, dass es sich nicht nur um sieben, sondern um zwölf Strahlen handelt, die sie ausführlich beschreibt. Beispielhaft stehen einzelne Meister (z.B. Kuthumi, Christus, Dhwyal Khul, Hillarion) für die Strahlen, die sie in ihren geschauten energetischen Signaturen zu Papier gebracht hat. Diese ganzseitigen Farbabbildungen, die sich auch als Meditationsobjekte eignen, samt der beigestellten Erläuterungen sind nur einer der Vorzüge dieses hochwertig aufgelegten Buches.
Daneben sind es auch viele andere ihrer Wahrnehmungen, die Erla seit langem, meist mit Buntstiften, zeichnet. Auch an diesem Vergnügen kann der Leser teilhaben: So gibt es in diesem Werk kaum eine Seite, die nicht farbig bebildert ist. Das, beigefügte Meditationsanleitungen und natürlich die außergewöhnliche Geschichte von Erla Stefánsdóttir machen dieses Buch zu etwas ganz Besonderem.

Strassman, Rick, DMT. Das Molekül des Bewusstseins, AT-Verlag: Baden-München 2004, Hardcover, 464 S., ISBN 3-85502-967-9; 25,90 €.


Könnte die menschliche Fähigkeit zu mystischem Erleben eine Sache der Biochemie sein?
Mit dieser Frage setzte sich Rick Strassman in seinen Forschungen auseinander. Und nicht nur die Ergebnisse seiner Studien können nun in dem Buch „DMT- Das Molekül des Bewusstseins“ nachgelesen werden. Beginnend mit dem ersten Interesse des Autors an psychoaktiven Substanzen, über den anfolgenden nervenaufreibenden Papierkrieg mit universitätsinternen Gremien, DEA und FDA, über die detaillierte Schilderung der Versuchsreihen bis hin zu den Auswertungen und Schlussfolgerungen erzählt Strassman ausführlich von jedem Schritt seines faszinierenden Unterfangens.
In den Jahren der Untersuchungen (1990-1995) war er klinischer Psychiater an der Universität von New Mexico in Albuquerque. Nach 20 Jahren des Forschungsverbots hat er es durchsetzen können, fünf Jahre lang mit Freiwilligen Versuche mit DMT anstellen zu können. DMT (Dimethhyltryptamin) ist einer der unbekannteren psychedelischen Stoffe, der in der Natur in verschiedenen Pflanzen und Tieren vorkommt. Als solcher ist DMT einer der Wirkstoffe des Ayahuasca, welches südamerikanische Schamanen für ihre Visionsreisen nützen. Und es kommt als endogener Stoff im menschlichen Körper vor. Strukturell handelt es sich um ein einfaches Molekül, dass Ähnlichkeit mit dem Serotonin und dem Melatonin aufweist.
Eine der Thesen Strassmans, der es mit Hilfe der Untersuchungen näher zu kommen galt, war es, dass endogenes DMT in der Zirbeldrüse gebildet wird und dem Menschen in den extremsten Situationen seiner Erfahrung (im Augenblick der Geburt oder aber des Todes) zur Verfügung steht. Auch eine Verbindung von Schizophrenie und gestörtem DMT-Haushalt vermutete er.
Zunächst galt es jedoch, Freiwillige zu finden, geeignete Räumlichkeiten und eine Versuchsanordnung zu entwerfen, die verlässliche Aussagen über die Wirkungsweise des Stoffes machen könnte. Nachdem diese Voraussetzungen gegeben waren, untersuchte Strassman das Verhältnis von Dosis und Wirkung, erkundete eine etwaige Toleranzentwicklung und forschte experimentell an der Frage, an welchen Serotoninrezeptoren genau DMT seine Wirksamkeit entfaltet. Und im Zusammenhang mit der eingangs angeführten Frage ließ sich Strassman das Erleben seiner Probanden detailliert schildern. Diese Berichte machen nach einer biochemischen Einführung und der Beschreibung des Parcours durch die Ämter den Hauptteil des Buches aus.
Und tatsächlich: viele der Probanden erlebten mystische Zustände, in denen Zeit, Raum und Ego-Begrenzung aufgehoben waren. Die meisten von ihnen beschrieben noch Jahre später diese Erlebnisse als die wichtigsten in ihrem Leben. Aber auch völlig unvermutete Begegnungen stellten sich ein. So wurde immer wieder von Kontakten mit Wesen anderer Ebenen berichtet, die größtenteils den Charakter dessen trugen, was Menschen berichten, die sich von Außerirdischen entführt glaubten. Gibt es also einen Zusammenhang zwischen dem endogenen DMT und Entführungserlebnissen? Eine auf der Quantentheorie fußende Annahme von Paralleluniversen ist eines der vielleicht wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen. Auch die als Nahtodeserlebnisse beschriebenen Erfahrungen wurden von den Probanden erlebt, hauptsächlich bei höheren Dosen DMT, welches in jedem Fall intravenös injiziert wurde.
Mit den verschiedenen Schilderungen war es allerdings problematisch, Schlussfolgerungen zu ziehen ohne weiterführende Studien zu betreiben. Das Material war für Strassman inhaltlich schwer zu strukturieren und die biochemischen Ergebnisse hätten noch weitaus aufwendiger gestaltet sein müssen, um mehr als konkretisierte Vermutungen zum endogenen DMT zu erhalten. Aber es gibt Vorschläge für zukünftige Versuchsreihen, da zumindest klar geworden ist, dass bei breiterer Wiederaufnahme der Forschung mit psychoaktiven Substanzen jede Menge Daten erhoben werden müssten, um zu verlässlichen Ergebnissen zu kommen.
1995 stellte Strassman dann seine psychedelischen Forschungen nach einigen Rückschlägen ein. Diese ließen ihn immer wieder den Sinn derart isolierter Studien hinterfragen, da keiner seiner Freiwilligen, in Bezug zu den tiefen mystischen Erfahrungen, eine Umorientierung in seinem Leben vollzog. Einen monokausalen Zusammenhang zwischen mystischer, durch Drogen induzierter Erfahrung und der Veränderung der Lebensumstände gibt es nicht. Das ist nur einer der großen Frustrationspunkte des Buddhisten Strassman, der idealistisch geglaubt hatte, dass derartige Erfahrungen den Menschen tiefgreifend verändern müssten. Im Zusammenhang mit spirituelle Disziplin läge die Sache vermutlich anders, so der Autor.
Mit Strassmans mutigen Untersuchungen werden einige Fragen beantwortet, andere offen gelassen und eine Vielzahl neuer aufgeworfen. Die Forschungen mit DMT, dem Bewusstseinsmolekül, könnten also fortgesetzt werden.

Strohm, Harald, Über den Ursprung der Religion, München: Wilhelm Fink Verlag 2003, Paperback, 328 S., ISBN 3-7705-3795-5; 29,90 €.


Der Autor, dessen Arbeitsgebiete die Philosophie und die Religionspsychologie sind, legt hier ein Werk vor, das sich mit der psychologischen Interpretation der frühesten Textzeugnisse der Religionsgeschichte befasst. Über den Ursprung der Religion geht von der Beobachtung aus, dass sich diese frühen Texte oft erstaunlich ähneln; die Götter und Helden habe fast identische Abenteuer zu bestehen: Höhlen müssen aufgebrochen, Drachen getötet und Himmel und Erde auseinander gestemmt werden, Land wird begrünt und bevölkert.
Basis der Untersuchung sind die Kultlieder des Rig-Veda, die mit einem Alter von ca. 3500 Jahren den Schöpfungsmythen zuzuschlagen sind, im Gegensatz zu den später die Mythologie dominierenden Erlösungsdramen von Soteriologie und Eschatologie. Die Erzählungen, die vor dem religiösen Umbruch der Achsenzeit entstanden sind, sind zentral in diesem Buch.
Die Arbeitsthese, die Strohm dann anhand des Rig-Veda und unter Einbeziehung vergleichbarer Mythen zu belegen sucht, ist, dass die jeweils geschilderte Schöpfung nicht als physikalisches Phänomen verstanden werden muss, sondern als psychologisches, also intim menschliches.
Während schon Freud und zuletzt Norbert Bischof in dessen Spuren diese frühen Mythen als Inszenierungen kindlicher Dramen interpretierten, diese allerdings in eine recht späte Phase der Entwicklung verorteten, geht Strohm davon aus, dass die Schilderungen eine frühere Phase des menschlichen Werdens abbilden. Nach ihm handeln die Mythen von der Lebensspanne zwischen Geburt und ungefähr dem Ende des zweiten Lebensjahres.
So lässt sich das Rig-Veda als Geschichte des kindlichen Eroberns der Welt in den ersten Lebensjahren lesen, was Strohm, indem er Verse des Epos immer wieder den Erkenntnissen von moderner Säuglings- und Kleinkindpsychologie gegenüber stellt, amüsant und mit leichter Feder aufzeigt. Dabei scheint der Autor besonders den Arbeiten von Paul Thieme zum Rig-Veda und Daniel N. Stern zur Säuglingspsychologie verpflichtet zu sein.
So werden beispielsweise die Schätze, funkelndes Gold und Juwelen, die im Schöpfungsbericht nach dem Aufbrechen der Höhle in dieser sichtbar werden, zum beredten Zeugnis des Erwerbs optischer Wahrnehmung. Der Dunkelheit entronnen konturiert sich die Welt als glänzender, fast unfassbarer Schatz. Es handelt sich also um eine Schilderung direkten kindlichen Handelns und Erlebens; die Schätze sind diesseitig und stehen am Anfang der Entwicklung; sie sind noch nicht als kommende Verheißung in ein Jenseits verbannt, wie in späteren Erlösungsmythen.
Die Welt von Indra, Yama, Visnu und Agni, von denen das Buch in erster Linie handelt, stellt sich dar als eine magisch-frühkindliche Welt, in der Standunsicherheit und geringe Körpergröße erfahren werden und visuelle Wahrnehmung und Sprache noch erlernt werden. Demzufolge ist dieser Kosmos bevölkert von Zwergen, Lahmen und die Berge wackeln noch. Milch und Honig sind die Leibspeisen der göttlichen Kleinen und mit dem Dreirad wird zur Hochzeit gefahren. Quelle und Adressat der einstigen Schöpfungsberichte sind die seelischen Schichten des Menschen, die mit frühesten Erlebniswelten korrespondieren, vor dem Einsetzen frühkindlicher Amnesie.
Ausgehend von den ältesten indischen Schriften und ihrer intuitiv-poetischen Psychologie werden vergleichend auch andere Mythologien zu Rate gezogen und nach eben diesem Muster entschlüsselt. Sowohl ägyptische, babylonische, germanische, griechische und mittelamerikanische Schöpfungsmythen als auch Höhlenzeichnungen des Jungpaläolithikums sind witzig eingearbeitet und machen das Buch zu einem interessanten Lesestoff für alle, die an Mythen interessiert sind.
Ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis zu den Themen Mythologie und Entwicklungspsychologie runden dieses gelungene Buch ab.

Suhr, Dierk, Die Alchemisten. Goldmacher, Heiler, Philosophen, Ostfildern: Thorbecke Verlag 2006, Festband, SU, 176 S., ISBN 3-7995-0163-0,
22,90 €


In der vorliegenden Betrachtung der Alchemie wird ein weiter Bogen von der Steinzeit-Chemie und der Metallurgie der Bronzezeit bis hin zu den heute noch existierenden Schulen der Spagyrik gespannt. Viele der Vorstellungen und Vorgehensweisen, die mit der Alchemie in Verbindung stehen, werden dabei referiert und können so ein kompaktes Gesamtbild ergeben, bei dem jedoch einige Aspekte etwas kurz ausfallen.
Als Biologe und Lehrbeauftragter an der Universität Stuttgart nämlich geht der Autor das Thema in erster Linie aus der Perspektive eines heutigen Naturwissenschaftlers an. Diese Form der Annäherung zieht ganz natürlich Auslassungen nach sich, so dass der Alchemist, den Mystiker, den Philosophen und den frühen Naturwissenschaftler in sich vereinend, wenn man so will, letzten Endes besonders für seine Leistungen im letztgenannten Bereich überaus gewürdigt dasteht. So liest sich das Werk von Dierk Suhr an vielen Stellen als Apologie der Alchemie, bemüht, die chemisch relevanten Forschungsergebnisse herauszustellen. Und da gib es ja einige, wie die Entdeckung des Sauerstoffs, des Alkohols oder aber die des Porzellans und die des Schießpulvers in Europa.
Dabei führt der Weg zu frühesten Vorstellungen von der Beschaffenheit der Welt und der Menschen, wie beispielsweise der in der Antike entwickelten Vier-Elemente-Lehre oder zur Humoralpathologie der Hippokratiker. Die daran anschließenden Arbeiten, in denen sich die Heilkunde mit alchemistischer Experimentierfreudigkeit vereinte, ist einer der Hauptstränge, die Suhr herausgearbeitet hat. Die Formulierung und später die Suche nach einer Quintessenz, einem fünften Element, ist ebenso eines der zentralen Motive alchemistischen Strebens wie des Buches. Andere wichtige Gedanken, wie sie auf der Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos niedergeschrieben sind, kabbalistische Einflüsse, die Signaturenlehre oder die Theorie von Suphur, Mercurius und Sal sind kenntnisreich und historisch eingeordnet dargestellt.
Weiteres Augenmerk liegt auf der Alchemie als Kunst des Goldmachens und auf dem Bestreben vieler Alchemisten, den Stein der Weisen resp. das Elixier des Lebens herzustellen. Diese Bemühungen stehen eher als Scharlatanerie im artifiziellen Leseraum und schnell begibt sich der Autor in medizinische Deutungsdimensionen, wie die Suche nach einem Allheilmittel (Panacea) eines Paracelsus.
Die mystische Beschäftigung mit alchemistischer Symbolik und Verfahren, eine innere Alchemie (wie das chinesische Neidan), wird in Suhrs Betrachtung zwar genannt, aber kaum weiter ausgeführt. Es bleibt also in weiten Teilen der Eindruck einer kenntnisreichen Beschreibung der Alchemie als embryonaler Chemie, obwohl mit der Anführung einiger philosophisch-mystischer Schriften auch eine völlig andere Geschichte möglich gewesen wäre.
Den größten Platz dieser Schrift nimmt ein Mittelteil ein, in welchem zahlreiche bekannte und weniger bekannte Alchemisten bis hin zu Alexander von Bernus mit ihren Lebensläufen und Schaffensdaten skizziert sind. Zudem zeichnet sich das Buch dadurch aus, dass der Autor es immer wieder unternimmt, spezifisch alchemistische Begriffe und Verfahrensweisen zu erklären, so dass auch dem Leser ohne Vorwissen ein leichter Einstieg in die Materie gelingen kann.
In erster Linie schrieb der Autor somit eine kenntnisreiche und zudem ausgesucht bebilderte Historie der Alchemie, abzielend auf die heute noch chemisch relevanten Erkenntnisse der damaligen Forscher. Dass dabei manche der spannenden „Abberationen“ sehr kurz abgehandelt sind, wird durch die vorgenannten Vorzüge aufgewogen.

von Lucadou, Walter, Dimension Psi. Fakten zur Parapsychologie, München: List Verlag 2003, 304 S., Festband, SU, ISBN 3-471-78571-X, 22,90 €.


Walter von Lucadou, seit 1989 Leiter der Parapsychologischen Beratungsstelle in Freiburg, Physiker und Psychologe, gilt weltweit als einer der führenden und angesehensten Wissenschaftler der Parapsychologie.
Das Buch „Dimension Psi. Fakten zur Parapsychologie“ entstand im Zusammenhang mit einer sechsteiligen Fernsehserie und ist dementsprechend in sechs thematisch gebundene Kapitel unterteilt. Dabei gehen die einzelnen Teile auf unterschiedliche Autoren zurück; von Lucadou scheint bei diesem Projekt der spiritus rector gewesen zu sein.

Die Kapitel behandeln im einzelnen die wichtigsten Teilbereiche des wohl umstrittensten Bereichs der Wissenschaft. So ist das erste den Geisterscheinungen gewidmet und beinhaltet ein breites Spektrum von Untersuchungen der Phänomene in Hampton Court Palace (Dr. Richard Wiseman, 2000) bis zu den Geistern der Yanomami in Südamerika. Daneben sind vom Autor sowohl das Quija-Board als auch die Legende vom „Fliegenden Holländer“ berücksichtigt, um nur einiges zu nennen.
Im anfolgenden Kapitel zu Nahtoderfahrungen kommen in erster Linie die Arbeiten von Raymond Moody als hervorragendstem Wissenschaftler zu diesem Thema zur Sprache, genauso wie auch die seiner Kritiker Susan Blackmore oder Karl L. R. Jansen. Zu den Überlegungen und Forschungen des Nahtoderlebens sind die Außerkörperlichen Erfahrungen hinzu gesetzt.
Als nächstes handelt das Buch dann von Reinkarnation. Neben den Aussagen des Dalai Lama und weiteren Fallbeispielen ist besonders die Geschichte der Shanti Devi hervorzuheben, die den Reinkarnationsforschern über Jahrzehnte Rätsel aufgegeben hat.
Danach werden die Erkenntnisse zur Telekinese beleuchtet. Hier reicht die Bandbreite des dargebotenen Materials von Experimenten mit Eusapia Palladino, D.D. Home und Willi Schneider bis hin zu den neuesten Versuchen von Roger Nelson vom Global Consciousness Project, der mit seinen REG´s (Random Event Generator) den Nachweis erbracht hat, dass Ereignisse wie Neujahrsfeiern, Kriege oder Terroranschläge, die von Milliarden Menschen wahrgenommen werden, auf diese weltweit aufgestellten Zufallsgeneratoren einwirken.
Und es bleibt spannend; das nächste Kapitel wendet sich der Telepathie zu. Die von Joseph Banks Rhine entwickelten Zener-Cards und die damit verbundenen Versuchsreihen bilden den Einstieg; Kern dieses Teils sind die militärischen Geheimprojekte zur Ausbildung von Psi-Agenten, die zur Zeit des Kalten Krieges auf beiden Seiten des Vorhangs blühten. Die Geschichte des im Stanford Research Institute von Harald E. Puthoff und Ingo Swann entwickelten Remote Viewing wird nachvollzogen; in gleichem Maße die Bemühungen der Russen unter dem Parapsychologen Leonid Wassiliew.
Im letzten Teil dann handelt das Buch vom Exorzismus, der hauptsächlich von seiner katholisch-abendländischen Seite erfasst wird. Die Exorzismen Jesu und das Rituale Romanum sind die Basis für die anfolgende Schilderung der Geschichte von Anneliese Michel, welche den weitesten Raum einnimmt. Dieser letzte in Deutschland offiziell genehmigte Exorzismus endete 1976, als die 23-jährige nach 67 vergeblichen Austreibungen in Klingenberg an den Folgen von Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel starb.

Zu Wort kommen in diesem hochinteressanten Werk jeweils die Wissenschaftler, die ihre Bemühungen ganz auf das entsprechende Gebiet abgestellt haben. Die parapsychologischen Fähigkeiten und Ereignisse sind sehr gut recherchiert und mit den jeweils wissenschaftlichen Erkenntnissen auf der Suche nach möglichen Erklärungen und Ursachen konfrontiert. Dieses aufwendig bebilderte Buch gibt also einen sehr anschaulichen und interessanten Überblick über die Parapsychologie bis in die Gegenwart.
Als wohltuend ist hervorzuheben, dass dieses breit angelegte Buch ohne Polemik auskommt. Die Kapitel stellen zum jeweiligen Thema die Schlaglichter der Forschungsgeschichte dar und in erster Linie werden hier Fragen gestellt. Wenn Urteile auftauchen, sind diese erkennbar als Zitate eingearbeitet und bleiben für den jeweiligen Kritiker oder Verfechter parapsychologischer Phänomene stehen; jedes der Teile dieses kurzweiligen Werkes endet also offen.

Wallrath, Bertram, Das keltische Baum-Horoskop, Iris Verlag: Saarbrücken 2007, Paperback, 128 S., ISBN 978-3-89060-248-6, 9,80 €.


Würde heutzutage so ein alter Kelte via Zeitreise in eine deutsche Buchhandlung gehen können und das Esoterikregal in Augenschein nehmen, würde er wahrscheinlich ziemlich erstaunt sein, was ihm und seinen Volksgenossen so angedichtet wird. Eine dieser Merkwürdigkeiten ist das Keltische Baumhoroskop, das seit Mitte des 20. Jahrhunderts gehandelt wird. Schlägt man in der akademischen Literatur zur keltischen Religion nach, lässt sich wohl einiges zur Astrologie in altirischen und altwalisischen Quellen finden, allerdings nicht in Zusammenhang mit Bäumen. Für derart elaborierte, durch die Zeiten auf uns gekommene keltische Systematik lässt sich dort kein Anhaltspunkt beibringen.
Die vermeintliche Tradition, der vielfach ein Alter von tausenden Jahren zugeschrieben wird, entpuppt sich schnell als Kunstschöpfung des britischen Schriftstellers Robert Graves, der in seinem 1946 erschienenem Buch The White Goddess eine Zuordnung von Ogham-Zeichen und einzelnen Bäumen herstellte und so den Vorläufer des heute gebräuchlichen Keltischen Baumhoroskop in die Welt brachte.
Aber damit ist die Geschichte, man ahnt es, noch nicht abgeschlossen. Die französische Journalistin Paule Delsol entwickelte 1971 im Auftrag eines Modemagazins (Marie Claire) verschiedene Horoskopsysteme, die alten Kulturen entstammen oder aber auf diese verweisen sollten. Neben einer arabischen und einer tibetischen Horoskopie entwickelte sie in Anlehnung an Robert Graves ein keltisches Baumhoroskop (Horoscope Gaulois). Einige Jahre später, 1984, erschien das erste Buch zum keltischen Baumhoroskop in deutscher Sprache (Bäume lügen nicht - Das Keltische Baumhoroskop), in dem dann vom sagenhaften Alter dieser Überlieferung die Rede ist. Ältester erhaltener Textzeuge, wenngleich natürlich nicht der Ursprung des Systems, sollte demnach ein Mauskript sein, welches in einem polnischen Kloster verwahrt wird.
Unglücklicherweise für die Fama befasste sich der Bundesgerichtshof Anfang der 1990er Jahre mit dem Keltischen Baumhoroskop, da zwischen den mittlerweile vermehrt publizierenden Verlagen zum Thema Streitfragen zu Urheberrecht und Verwertungslizenzen aufkamen. Die nachfolgenden Verlage nahmen nämlich für ihre Publikationen in Anspruch, nicht von dem 1984 veröffentlichten Buch abhängig zu sein und, so weiter argumentiert, schließlich sei das Keltische Baumhoroskop doch ältestes Kulturerbe der gesamten Menschheit, womit Fragen nach Urheberschaft und Verwertung obsolet würden. Dem war aber nun nicht so, wie von Seiten der Richter beschieden wurde. Die deutsche Fassung von 1984 entstammte einem polnischen Gartenkalender (das vermeintliche Klostermanuskript), dem wiederum textlich ein französischer Artikel zugrunde liegt. Im Nachvollziehen der Übersetzung ergab es sich, dass bei der Übertragung vom Französischen ins Polnische ein bedeutender aber unauffälliger Fehler gemacht wurde. Dieser Fehler wurde in die deutsche Ausgabe von 1984 übernommen und alle nachfolgenden Bücher zum Thema Keltisches Baumhoroskop kopierten diesen Fehler. Damit war der Nachweis erbracht, dass die gesamte deutsche Literatur zum Baumhoroskop von der ersten Version abhing. Damit ist das Keltische Baumhoroskop nun ganz offiziell eine britisch-französische Schöpfung, die über einen polnischen Gartenkalender zu uns kam. Die Umstände werden in dem vorliegenden, von Bertram Wallrath herausgegebenen Buch unumwunden ausgebreitet.
Der Fehler ist mittlerweile korrigiert und auf eine legendäre keltische Tradition wird verzichtet. Trotz der mittlerweile entlarvten Herkunft ist diese Form der Dendrohoroskopie im Kanon des Neupaganismus angekommen, wo mit dem System mehr oder weniger reflektiert umgegangen wird. Aber eines sollte dennoch bedacht werden: Die Antwort auf die Frage, ob das charakterologische System von altehrwürdiger keltischer Abstammung oder keltophile Schöpfung des 20. Jahrhundert ist, trifft nicht unbedingt eine Aussage über eine etwaige Nutzbarkeit und Wirksamkeit für Erkenntnis und Charakterschulung.
Natürlich wäre eine autochthone keltische Herkunft origineller als das dargelegte System, in dem sich sowohl Anlehnung an die herkömmliche abendländische Astrologie finden lässt als auch an den Keltischen Jahreskreis. So regieren vier Bäume jeweils nur einen Tag (die Sonnenwenden und die Tag- und Nachtgleichen), während 15 Bäumen jeweils zwei und zwei Bäumen jeweils drei Dekaden des Tierkreises zugeordnet sind. Zudem lassen sich zwischen den jeweiligen Bäumen und den Arkana des Tarot Beziehungen herstellen, die in diesem Buch allerdings nur angesprochen, nicht aber ausgeführt sind. Zur weiterführenden Lektüre kann auf Das Keltische Baumtarot verwiesen werden, das von Leah Levine und Bertram Wallrath geschrieben ist.
Ganz klassisch enthält dieses Buch zum Keltischen Baumhoroskop eine Datentabelle, in der man sein Geburtsdatum heraussucht. Dahinter findet sich dann der zugehörige Baum und der entsprechende Abschnitt kann nachgeschlagen werden. Neben der Charakterkunde, die verhältnismäßig kurz aber prägnant ausfällt, ist zum jeweiligen Baum einiges an kulturhistorischen Fakten zusammengetragen.
Somit ist das Buch am ehesten eine knappe Einführung in das Problemfeld Keltisches Baumhoroskop und eine Darstellung der einzelnen Bäume in ihrer charakterologischen Aussagekraft nach Paule Delsol. Die beigefügten kulturhistorischen Gegebenheiten zu den jeweiligen Bäumen entstammen zumeist mittelalterlichen Folianten zur Heilkunde, in die das Wissen keltischer Druiden wirklich Eingang gefunden haben könnte. Allerdings ist das nicht zweifelsfrei nachzuweisen.
Aber schlussendlich kommt es darauf an, ob dieses System auf dem Weg der Erkenntnis hilfreich werden kann. Und das ist möglich, individuellen Zugang vorausgesetzt.

Walchensteiner, Kurt R., Die Kathedrale von Chartres,Verlag Neue Erde: Saarbrücken 2006, 237 S., Paperback, ISBN 3-89060-246-0, 19,80 €.


Sebastien Rouillard, advocatus von Melun, schrieb 1609 ein Buch mit dem Titel „Parthenia oder die Geschichte der höchst hehren und frommen Kirche von Chartres, gewidmet von den alten Druiden der Jungfrau, die gebären soll“. Dieses Werk beinhaltet die Legende, nach der Druiden ein Jahrhundert vor Christi Geburt durch prophetische Eingabe aufgefordert wurden, einen Altar für eine gebärende Jungfrau im Heiligen Hain zu errichten.
An diese Legende knüpft auch Kurt Richard Walchensteiner mit seinem Buch, „Die Kathedrale von Chartres. Ein Tempel der Einweihung“ an. Hiernach war Chartres bereits vor 4000 Jahren einer der bedeutsamsten religiösen Kraftorte Europas.
Der Legende nach suchte der solare Fruchtbarkeitsgott Gargantua nach Menhiren oder Riesensteinen. Unter diesen Menhiren ragte aber ein Stein an Heiligkeit hervor. Gargantua beauftragte das Volk der Carnuten, genau diesen einen Stein zu schützen Carnuten heißt übersetzt soviel wie „Hüter des Steins“ und hängt etymologisch mit dem Wort Chartres zusammen. Durch den Stein geheiligt trafen sich nun hier jedes Jahr Druiden und Barden, Priester und Gelehrte im heiligen Hain. Dieser Legende nach soll dieser heilige Stein direkt unter dem Hügel, auf der die Notre Dame von Chartres steht, vergraben sein.
Nun ist die Kathedrale von Chartres nicht nur auf einem bedeutenden Punkt gebaut, sondern bietet nach Walchensteiner selbst einen Einweihungsweg in sich.
Walchensteiner geht davon aus, dass die Templer im 12. Jahrhundert in Jerusalem unter dem salomonischen Tempel die Bundeslade fanden, auf welcher natürlich nicht die handwerkliche Bauanleitung für Chartres stand, sondern vielmehr eine Beschreibung oder Anleitung für die innere Alchemie eines jeden von uns, mit dem Ziel, selbst zum Tempel Gottes zu werden. All diese Informationen sollten jedem zugänglich sein. Die empfangenen Anleitungen sollen von den Templern in jede Form der Kathedrale von Chartres eingeschrieben worden sein. Jeder soll sie nutzen können, vorausgesetzt dass er sie zu entschlüsseln und zu lesen versteht und sie daraufhin auf sich und in sich wirken lassen kann.
Ziel dieses in der Kathedrale von Chartres eingeschriebenen Weges innerer Alchemie ist demnach eine Vervollkommnung von Körper, Geist und Seele und die Geburt des göttlichen Kindes in einem selbst. Schritt für Schritt wird dieses göttliche Kind während der Selbstvervollkommnung in der Kathedrale zur Selbstbemächtigung heranwachsen.
Sehr persönlich und dennoch tiefsinnig ist Walchensteiners Wahrnehmung, dass jeder Mensch die Kraft von Christus ist und dem Ziele zustrebt, sich schlussendlich selbst vom Kreuz des Leidens abzunehmen.
Von Bedeutung ist dabei auch ein weiterer Bestandteil christlicher Mythologie: der Gral. Auch dieser soll den Weg von Chartres gekreuzt haben: Der Legende nach hat Joseph von Arimathaea ihn erst nach Chartres und später nach Glastonbury gebracht.
Weiteres besonderes Gewicht kommt den Tafeln von Chartres zu. Gehaltvoll dargestellt in Pierre Derlons „Die Gärten der Einweihung“ und daran anschließend in den Schriften von George Pennington und Louis Charpentier vertiefend ausgearbeitet, stellen ihre Mysterien einen zentralen und anleitenden Schlüssel des alchemistischen Prozesses dar. Die rechteckige Abendmahlstafel Jesu, die quadratische des Joseph von Arimathaea und die runde, die Uther Pendragon auf Anweisung Merlins für die Artusritter bauen ließ, finden sich bei identischem Flächenmaß im Grundriss der Kathedrale. Besonders die runde Tafel, die das weithin bekannte Labyrinth von Chartres beinhaltet, galt und gilt noch immer als Zentrum der Einweihungsglyphen des gotischen Bauwerks.
Somit dienen alle geometrischen und mathematischen Besonderheiten, wie beispielsweise die Zahlenverhältnisse, einem einzigen Zweck: die Qualitäten der eigenen Göttlichkeit zu erwecken.
Notre Dame in Chartres fasst dabei eine ganze Sammlung von Qualitäten. In Nordfrankreich gibt es eine ganze Reihe gigantischer Kathedralen, die der heiligen Jungfrau geweiht sind. Betrachtet man die Standorte aus der Luft, bilden alle diese Bauten zusammen das Sternbild der Jungfrau, wobei jede Kathedrale für einen Stern und somit für eine Qualität steht. Eine Ausnahmestellung kommt dabei Chartres zu. Chartres ist sozusagen der Knotenpunkt, der alles verbindet und in dem alle Qualitäten zusammen fließen. Diese Eigenschaften wiederum entsprechen richtungweisend den Stationen, die einem auf dem Weg innerer Alchemie begegnen können und die es zu durchdringen gilt.
Abgesehen von der Vielzahl von mathematischen Ausformungen, die den Laien zum Verzweifeln bringen können, gibt Walchensteiner sehr gut lesbar klare und pragmatische meditative Anleitungen zum esoterischen Gehalt der Kathedrale, mit denen jeder Mensch die Qualitäten seines göttlichen Kindes wachrufen kann. Ein echter Einweihungsweg also.